Im Jahr 1809 zettelte der gebürtige Däne Jørgen Jørgensen auf Island die Revolution an. Er verkündete, Island sei frei und unabhängig von dänischer Staatsgewalt. Es müssten keine Steuern mehr an Dänemark gezahlt werden, die Isländer könnten Handel treiben, mit wem sie wollten und auf der Insel herumreisen, wie es ihnen passte. Was taten die Isländer? Sie verstanden ihn nicht und verspotteten ihn. Freiheit und Unabhängigkeit von Dänemark war zu dieser Zeit überhaupt nicht denkbar.
Diese Geschichte erzählt der isländischen Autor Andri Snær Magnason in seinem neuen Buch „Wasser und Zeit. Eine Geschichte unserer Zukunft“ (Original „Um tímann og vatnið“), um zu illustrieren, dass die inhaltliche Bedeutung von Wörtern nicht automatisch verstanden werden muss. Dies gelte nämlich auch für die heutige Zeit. „Versauerung der Meere“ oder „Klimawandel“ beispielsweise würden nicht richtig verstanden – würde uns klar sein, was diese bedeuten, würden wir uns nicht achselzuckend abwenden können.
Stattdessen schreibt Andri Snær Magnason von Wasser und Zeit. Der Isländer, der im vergangenen Jahr mit seiner Inschrift für einen geschmolzenen isländischen Gletscher international Aufmerksamkeit erregte, blickt diesmal sehr weit über die Insel hinaus. Denn auch die Gletscher des Himalayas schmelzen. Sie speichern im Winter die Niederschläge und versorgen im Sommer eine bevölkerungsreiche Region mit dem Schmelzwasser. Ohne dieses ausgeklügelte System der Natur würden die Menschen es dort sehr schwer haben.
Weil es uns aber so schwer fällt, uns die Zeitspanne vorzustellen, in der diese Prozesse geschehen, greift der Autor zu einer Hilfskonstruktion. Bis wann wird vielleicht jemand leben, den wir noch kennengelernt haben? Und seit wann haben Menschen gelebt, die wir noch kennengelernt haben, Großeltern oder sogar Urgroßeltern? Andri Snær Magnasons Großeltern machten ihre Hochzeitsreise als Gletscherforscher auf dem Vatnajökull und übernachteten in der Hütte in Jökulheimar, die sie mit gebaut hatten. Im Frühjahr 2019 konnte man erstmals nicht mehr von dort über den Tugnaárjökull auf den großen Gletscher. Der Tugnaárjökull hatte sich weit zurückgezogen und ein schlammiges Gebiet hinterlassen.
Auftritt Auðhumla!
Andri Snær Magnasons „Wasser und Zeit“ ist nicht einfach „noch ein Buch über den Klimawandel“. Anhand von Familiengeschichten, historischen Dokumenten, Legenden und persönlichen Begegnungen (unter anderem mit dem Dalai Lama) webt er ein Netz, das uns mit der Vergangenheit und der Zukunft verbindet. Und uns die Gegenwart aus anderer Perspektive sehen lässt. Es ist Andri Snær Magnasons großes Talent, Worte und Bilder zu finden, die berühren, auch wenn man denkt, man hätte jetzt wirklich schon alles zu dem Thema gehört. Und dann kommt auch noch die Kuh Auðhumla aus der Snorra Edda in der Geschichte vor. Wundern Sie sich nicht! Das hat alles seinen Sinn!
Das Buch ist im Insel Verlag erschienen, sowohl gebunden als auch als e-Book. Tina Flecken übersetzte es aus dem Isländischen.
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