Radfahren, Segeln und Skifahren haben eins gemeinsam: Die Physik wird auf optimale Weise ausgenutzt, um sich schnell vorwärts zu bewegen. Es mag neue Fahrradmodelle, Bootstypen oder Skivarianten geben: An der Grundidee ändert das nichts.
Auch der Tretschlitten gehört in diese Kategorie. Aus klimatischen und einigen anderen Gründen hat er sich nicht so weit ausgebreitet. Doch im hohen Norden, in Schweden, Finnland und Norwegen, ist er seit mehr als 100 Jahren fester Bestandteil des Winterlebens. Und zufällig bin ich genau dort gelandet, wo man seinen Anfang vermutet – wo er zumindest zum ersten Mal urkundlich erwähnt wird: in Piteå.
Ein Tretschlitten besteht aus zwei langen Kufen aus Metall und einem Gerüst aus Holz, auf dem man sich abstützen kann. Er verfügt über einen Sitz, auf dem eine Person Platz nehmen oder Gepäck transportiert werden kann. Das Prinzip erschließt sich praktisch von selbst: Ein Fuß steht auf einer Kufe und mit dem anderen stößt man sich ab. Hat man genug Schwung, kann man den anderen Fuß auch auf eine Kufe stellen und gleitet dahin – bei glattem Eis und Rückenwind sogar ziemlich schnell und lange.
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Auch ein völlig ungeübter Anfänger kann sich mit einem Tretschlitten schnell sicher auf dem Eis bewegen – im Gegensatz zu Schlittschuhen, wo Anfänger oft schmerzhaft Lehrgeld zahlen müssen. Die langen Kufen des Tretschlittens sind außerdem unempfindlich gegen Sprünge und Unebenheiten, wie sie auf Natureis nun einmal vorkommen. Es gibt sie in verschieden Größen, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene. Der Sitz bietet sich auch an, wenn man einmal Pause machen möchte. Manche Eisangler nutzen gerne einen Tretschlitten, um ihre Ausrüstung zu transportieren und sich dann beim Angeln selbst darauf zu setzen.
Piteå und Luleå bieten an den Zugängen zu ihren Eisbahnen Tretschlitten an, die man sich kostenlos ausleihen darf – ein Service, den Einheimische wie Touristen gerne nutzen, um eine schnelle Runde zu drehen. Vorsicht, zu viel Tempo deutet darauf hin, dass man auf dem Rückweg den Wind von vorn hat! Anderswo stellen auch die Unterkünfte manchmal einen Tretschlitten zur Verfügung.
Viele Varianten, viele Namen
Zum ersten Mal beschrieben wurde der Tretschlitten 1872 in Norrbottens Posten in einer Notiz aus Piteå. Dort wird der Begriff „sparkstötting“ benutzt, der auch heute noch auf Schwedisch oder Norwegisch verbreitet ist. Einfacher, kürzer und gebräuchlicher ist allerdings „spark“. Dazu kommen je nach Region oder Dialekt weitere Ausdrücke, getreu dem schwedischen Sprichwort „Kärt barn har många namn”, also ”geliebtes Kind hat viele Namen”. Auf Finnisch heißt das Gerät „potkukelkka“ oder kürzer „potkuri“.
Das beste Einsatzgebiet ist ein vereister Weg oder eine Eisfläche, und insofern wäre tatsächlich logisch, wenn die Erfindung von der nördlichen Ostseeküste stammte, wo man genug davon hat. Das gilt natürlich auch für die finnische Seite: Der schwedische Ethnologe Göran Rosander nennt in seinem Buch „Sparkstöttingar“ zwei unsichere Quellen, die sich auf Österbotten beziehen. Das Prinzip des Tretschlittens erschien aber in den verschiedensten Varianten. Rosander zeigt in seinem Buch einige Exemplare davon – zum Beispiel einen Robbenjäger aus Luleå, der sich auf einer breiten Kufe fortbewegt und mit einer Stange abstößt. „Die vielen Formen, die die älteren Tretschritten zeigen, weisen darauf hin, dass es die Idee des sich Abstoßens war, die sich verbreitete, nicht eine gewisse Konstruktion“, folgert Rosander.
Aufstieg und Fall des Tretschlittens
Die Hochzeit des klassischen Tretschlittens müssen die 1940er und 1950er Jahre gewesen sein. Hersteller J. Malmqvist & Son AB aus Växjo verkaufte 1948 135 000 Stück, so viele wie nie zuvor und danach. Außer den kalten Wintern trug auch das rationierte Benzin dazu bei, dass die Leute in dieser Zeit auf alternative Verkehrsmittel auswichen.
Ostern 2020 brannte die Fabrik letzten schwedischen Herstellers Vansbro spark in Dalarna nieder, sie war zu diesem Zeitpunkt schon geschlossen. In Zeitungsberichten aus den Jahren vor der Schließung beklagt der Inhaber die sich häufenden grünen Weihnachten in Südschweden. Seine Idee mit Rollen unter den Kufen schlug nicht so richtig ein. Der letzte verbliebene große Hersteller ist E.S. Lahtinen Oy (ESLA) aus Koura bei Seinäjoki, Finnland. Dort werden seit 1933 Tretschlitten hergestellt, und heute wird sehr auf umweltfreundliche Materialen geachtet. ESLA fertigt auch Sportmodelle unter dem Namen „Kickspark“.
Der Tretschlitten, ein Opfer des Klimawandels? Er wurde bereits ein Opfer der Automobilismus, der seine Leistung als Transportmittel überflüssig machte, und ein Opfer der immer häufiger gestreuten Straßen und Wege. Der Tretschlitten braucht harten glatten Untergrund – was Autofahrer und Fußgänger nicht so mögen. Im Gelände und auf Eis hat sich außerdem der Motorschlitten durchgesetzt – das Transportmittel für alles, sobald das Eis hält und genug Schnee gefallen ist. Der Tretschlitten lebt weiter als robustes Freizeitgerät für alle Altersklassen dort, wo die Verhältnisse ihm noch eine Chance geben.
Nützliches Zubehör für Tretschlitten:
Spikes für die Schuhe sind empfehlenswert, um sich auf Eis besser abstoßen zu können. Besonders, wenn der Wind von vorn kommt.
Schneekufen. Die Stahlkufen fahren gut auf Eis oder festem Schnee. Auf weicherem Untergrund sinken sie ein. Mit den Schneekufen, die es als Zubehör zu kaufen gibt, wird der Tretschlitten vom Schlittschuhfahrer zum Skiläufer.
Bremsen. Auf ebenem Eis mit viel Platz sind sie nicht wirklich notwendig, und die Leih-Tretschlitten in Luleå und Piteå haben auch keine. Sinnvoll sind sie jedoch für jene, die damit in hügeligem Gelände an Land fahren. Passt der Untergrund, wird es zügig!
Hunde. Wenn es nicht zu glatt ist, ziehen mittlere und größere Hunde mühelos Tretschlitten mit Herrschen oder Frauchen drauf über die gewöhnliche Leine…
Wie fährt man einen Tretschlitten?
Die Funktionsweise erklärt sich eigentlich von selbst: Man greift den Lenker mit beiden Händen, stellt einen Fuß auf eine Kufe und stößt sich mit dem anderen vom Eis ab. Aber mit welchem? Ich habe mich bei meinen ersten Versuchen immer automatisch mit dem linken Fuß abgestoßen – als Rechtshänderin. Meine Theorie dazu wurde aber ganz schnell von einer Frau auf dem Eis zerstört: „Man wird ja müde, wenn man immer denselben Fuß nimmt. Ich fahre „spark“, seit ich Kind bin, und ich wechsele immer ab.“ Erfahrene und ausdauernde Tretschlittenfahrer erkennt man also daran, dass sie mühelos das Bein wechseln können. Es geht!
Tretschlitten-Rekorde
- In den 1880er Jahren soll ein Mann die Strecke von Piteå nach Tornio innerhalb von 24 Stunden gefahren sein. Über die E4 wären das heute 180 Kilometer.
- Die höchste Geschwindigkeit, die je mit einem Tretschlitten gefahren wurde, sind 86,78 km/h. Der Rekord wurde 1995 in Sälen von Nils Masgård aufgestellt. Es ging natürlich bergab. Das Fahrzeug ist heute im Tretschlitten-Musem in Piteå zu sehen.
- In Piteå versammelten sich im Januar 1999 die Menschen, um einen Tretschlitten-Zug aus 1334 Exemplaren zu bilden. Damit war der alte Weltrekord von Junsele geschlagen und es gab einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde.
Piteå und seine Tretschlitten
Tretschlitten gibt es in vielen nordischen Museen. Das private „sparkmuseum“ von Thomas Wallstén in Piteå ist aber das einzige, das sich ausschließlich diesem gutmütigen, robusten Winterfahrzeug widmet – in der Stadt, in der es schriftlich zum ersten Mal erwähnt wurde. „Wir hatten einige selbst und haben noch welche in Dalarna dazugekauft“ – so beschreibt Wallstén den Beginn seines Museums. Ein Fernsehbeitrag darüber sorgte dafür, dass er noch weitere Exemplare angeboten bekam. Die insgesamt rund 100 Tretschlitten ziehen allerdings gerade um. Es soll voraussichtlich im März wieder öffnen.
Texte und Fotos Andrea Seliger, April 2021, überarbeitet Februar 2022