Kiruna – eine Stadt zieht um

Die nordschwedische Stadt Kiruna wurde im Jahr 1900  für den Erzbergbau gegründet. Heute werden dort laut LKAB täglich etwa 85 000 Tonnen Erz aus der Tiefe geholt. Das hat Folgen: Der Boden darüber stürzt Stück für Stück ein. Deshalb ist das alte Zentrum Kirunas und ein Teil der Bewohner nun bereits umgezogen. Insgesamt 12 000 Menschen, zwei Drittel von Kirunas Bevölkerung, müssen bis 2035 ihre früheren Wohnungen oder Häuser verlassen haben.  

Große rote Holzkirche, dahinter Berg, im Vordergrund Menschen

Einwohner und Besucher Kirunas folgen der rollenden Kirche auf dem Weg an ihren neuen Standort. 19. August 2025

Hjalmar Lundbohm,  LKABs erster Disponent dort, der als Gründer Kirunas gilt, hätte sich wohl nicht vorstellen können, dass eines Tages einmal sein eigenes Haus dem Abbau weichen muss. Denn damals wurde das Erz noch oberirdisch aus dem Kiirunavaara geholt. Und vermutlich ahnte auch noch niemand, dass der gewaltige Erzkörper wie eine schrägstehende Scheibe im Boden liegt – je tiefer, desto näher an der Stadt. Inzwischen wird  1365 Meter unter der ehemaligen Bergspitze abgebaut. Zwischen der Stadt und den Anlagen von LKAB (Luossavaara Kiirunavaara Aktiebolaget) wächst das Niemandsland –  die Zone, in der das Erdreich in die Hohlräume nachrutscht und die von Menschen nicht mehr betreten werden darf.

Wo das Erz liegt

Umzugsplanung seit 2004

2015: Das alte Rathaus, Bahnhof und Bahnhofshotel sowie der damalige Zaun der Einsturzzone. Keins der hier sichtbaren Gebäude steht heute noch, die Flächen liegen ebenfalls hinter dem Zaun.

Bereits seit 2004 war klar, dass die Bergbauschäden in naher Zukunft auch das alte Stadtzentrum treffen würden, darunter Geschäfte, öffentliche Einrichtungen und rund 3000 Wohnungen, insgesamt 6000 Menschen. Lange wurde darüber diskutiert, in welche Richtung sich Kiruna statt dessen entwickeln soll. 2011 beschloss die Kommune, das neue Zentrum im östlich gelegenen Tuolluvaara aufzubauen.  Das preisgekrönte alte  „Stadshuset“ist der Entwicklung bereits zum Opfer gefallen, es wurde im Sommer 2019 abgerissen. Die Fläche befindet sich heute bereits hinter dem Zaun, der die Einsturzzone umgibt. Allein der charakteristische Uhrenturm blieb erhalten und wurde am neuen Rathaus aufgestellt, das seit Sommer 2018 in Betrieb ist. Schritt für Schritt wird das alte Zentrum dem Boden gleich gemacht und darauf eine Grünfläche angelegt – bis der Boden auch dafür nicht mehr sicher genug ist. Mehr als 20 ausgewählte Gebäude wurden umgezogen, teils zum neuen Zentrum, teils in Richtung des Berges Luossavaara. Als Verursacher der Schäden muss LKAB den Umzug bezahlen und Hauseigentümer entschädigen.

Kirunas altes Zentrum

Mehr Fotos aus Kirunas altem Zentrum gibt es auf der Seite Bildergalerien Kiruna

Kirunas neues Zentrum

Kirunas neues Zentrum, August 2025

Kirunas Rathaus war das erste Gebäude im neuen Zentrum, darum herum sind inzwischen viele mehr gewachsen. Während das Rathaus schon 2018 in Betrieb war, eröffneten die Geschäfte und andere öffentliche Einrichtungen gemeinsam am 1. September 2022. Damit war der „Umzug“ vollzogen. Das neue Zentrum ist kompakter und die Geschäfte sind so angelegt, dass man sie nicht nur von außen, sondern auch durch eine innen verlaufende Passage erreichen kann, die sich durch mehrere Häuser zieht. 

Nya Kiruna Centrum 

Mehr Fotos aus dem neuen Zentrum Kirunas gibt es auf der Seite Bildergalerien Kiruna

Spektakulärer Kirchenumzug und ein neuer Schock

Kirunas Kirche auf den letzten Metern zum neuen Standort, 20. August 2025

Am 19. und 20. August wurde als eins der letzten Gebäude die mehr als 100 Jahre alte Holzkirche von Kiruna umgezogen – 672 Tonnen schwer und 40 Meter breit. Die Aktion war lange vorbereitet worden und lockte Schaulustige und die internationale Presse nach Kiruna. Einwohner und Gäste begleiteten das rollende Gebäude zu seinem neuen Standort. Eine Woche später folgte der Glockenturm mit weniger Spektakel. Damit, so schien es, waren fast alle wichtigen Gebäude am neuen Standort, bis auf das Krankenhaus, und eine wichtige Etappe des Umzugs erledigt. Doch am 28. August verkündete LKAB die Ergebnisse der jüngsten Deformationsprognose: Weitere 6000 Menschen werden umziehen müssen, weil der Boden unter ihren Häusern nicht mehr sicher ist. 

Zu räumende Gebiete nach der neuen Deformationsprognose

Rotes Gebiet: Nach der alten Deformationsprognose zu räumen, ca. 6000 Einwohner. Blaues Gebiet: Nach der neuen Pronose zu räumen, ca. 6000 Einwohner.

Zukunftsplanung in Kiruna und die Willkür des Weltmarktes

Kirunas Erzkörper. Quelle LKAB

Mit einer jährlichen Produktion zwischen 22 und 27 Millionen Tonnen Erz aus den Standorten Kiruna, Svappavaara und Malmberget steht die staatseigene schwedische Bergbaufirma LKAB für 80 Prozent der europäischen Produktion. Die Gruben sind außerdem mit Abstand der größte Arbeitgeber der Region. Der Erfolg ist allerdings abhängig von Nachfrage und Preisniveau auf dem Weltmarkt, was schon in der Vergangenheit immer direkt auf die Bergbauorte durchschlug: Hatte LKAB viele Angestellte, ging es auch anderen Branchen gut. Verkaufte LKAB schlecht und die Menschen mussten anderswo Arbeit suchen, riss dies alles mit. Nun muss das Erz auch den Umzug finanzieren. Der Weltmarktpreis schwankte dabei allein in den vergangenen fünf Jahren zwischen mehr als 200 und weniger als 100 Dollar pro Tonne.

Der Erzvorrat soll noch bis 2060 reichen

Kirunas Erzkörper in Orange, das Per-Geijer-Vorkommen in Blau. Quelle LKAB

Lange schien der Erzkörper in Kiruna praktisch unendlich ergiebig – man musste nur immer tiefer graben. Doch Ende Oktober 2018 macht LKAB öffentlich, dass die Produktion zwar bis 2035 wie geplant fortschreiten könne. Doch danach sei die Zukunft unsicher: Am südlichen Ende des Erzkörpers sei nicht mehr so viel zu holen wie bisher angenommen. Nach zwei Jahren intensiver Untersuchungen war aber klar, dass es in Kiruna noch ausbaufähige Reserven gibt und die Grube bis 2060 weiter betrieben werden könnte. Dabei soll noch bis 2046 das aktuelle Hauptniveau 1365 (bezieht sich auf die Tiefe, gemessen vom früheren Berggipfel aus) ausreichen.

Eine besondere Rolle spielt das nun näher untersuchte Per-Geijer-Vorkommen weiter nördlich: Dort gibt es nicht nur Erz, sondern auch Seltene-Erden-Oxide. LKAB will beides gemeinsam abbauen. Dies würde nicht die Stadt, aber ein Naherholungsgebiet und Zugflächen für Rentiere betreffen.

Mehr zu Kiruna:

  • Bildergalerien zur Entwicklung der vergangenen Jahre
  • Kategorie Kiruna auf der Nachrichtenseite
  • Webseite der Kommune Kiruna
  • Webseite des Fotografen Kjell Törmä aus Kiruna. Kjell Törmä dokumentiert seit Jahren die Stadt und ihre Entwicklung und hat dazu bereits fünf Fotobände herausgebracht.

Auch der Bergbauort Malmberget, 120 Kilometer südlich von Kiruna  steht nicht mehr sicher. Fast alle sind inzwischen schon umgezogen – in den Nachbarort Gällivare oder nach Koskullskulle: Malmberget und Gällivare: Aus zwei mach eins