Es begann mit einem Hund, der zufällig ein Schlittenhund war. Bernhard Schuchert und seine Frau Carola aus Sassenberg, Nordrhein-Westfalen, fuhren Touren mit Skiern und Pulka, auch später mit ihren beiden Kindern. Es folgten weitere Hunde und erste Rennen. 1998 meldete sich Bernhard Schuchert zum ersten Finnmarksløpet an. Mit seinem großen Hundegespann gab es für ihn nur die große Runde, die damals 1000 Kilometer betrug. „Wir hatten sehr wenig Ahnung. Wenig Gefühl für die Strecke und die Wetterbedingungen“, erinnert er sich. Nützliche Tipps bekam er von einem erfahrenen Teilnehmer, Roger Dahl. Schuchert kam als letzter ins Ziel. Aber er kam ins Ziel. „Es hat uns nicht mehr losgelassen“.
Inzwischen ist Berhard Schuchert 17 Mal beim Finnmarksløpet gestartet, dem längsten europäischen Schlittenhunderennen. 15 Mal kam er ins Ziel, einmal gab er selbst auf, 2020 wurde das Rennen wegen Corona abgebrochen. 2007 nahm er am Iditarod in Alaska teil, 2018 am Yukon Quest (Alaska/Kanada). Die Teilnahme an einem solchen Rennen, wo auch immer, ist eine Teamaufgabe: Während der „Musher“ auf der Strecke ist, muss jemand die Hunde betreuen, die letztlich doch nicht mitlaufen, verletzte Tiere entgegennehmen, teilweise auch Vorräte platzieren. Ehefrau Carola ist deshalb immer als „Handler“, wie diese Helfer genannt werden, dabei.
Das Interview findet per Videochat statt. Bernhard Schuchert ist gerade in Schweden, in dem Haus mit dem Kennel Porttikoski in Vallbo im Jämtland, wo seine Frau Carola und die Hunde inzwischen ganzjährig leben. Zurzeit haben sie noch 16 Hunde. Der 64-Jährige selbst pendelt noch zwischen dem Hundeparadies in Schweden und dem IT-Job in Deutschland, der es finanziert. Es ist Frühling, die Zeit, in der noch genug Schnee für einen Schlitten liegt, geht gerade zu Ende.
Wie sieht das Jahr mit Schlittenhunden aus? Was macht ein Schlittenhund im Sommer?
In den Bergen kann man noch bis etwa 20. Mai mit dem Schlitten fahren, dann ist Schluss. Dann ist es aber hier so weit abgetaut, dass man wieder mit dem Quad trainieren kann, das sind dann Strecken von 10 Kilometern. Wenn es wärmer ist, weniger. Im Sommer nicht jeden Tag, da müssen wir auf die Temperaturen achten. Meistens machen die Hunde von Juli bis Mitte August Pause. Das ist ganz gut, wenn die mal Pause haben. Wir haben einen großen Auslauf. Ab August geht das Training wieder los.
Freuen die sich dann richtig wieder aufs Training?
Die freuen sich immer aufs Laufen, dafür werden die Hunde ja gezüchtet. Wenn sie im Winter, wenn das Training härter ist, mal müde werden, dann macht man einen Tag Pause oder zwei, um die Motivation hochzuhalten. Letztendlich trainiert man sie, wie man sich selbst auch trainiert: Man muss aufpassen, dass man kein Übertraining produziert, aber doch regelmäßig dranbleiben.
Du hast inzwischen sehr viel Erfahrung mit Schlittenhunderennen. Warum gibt es eigentlich in Schweden keine so bekannten Schlittenhunderennen wie Finnmarksløpet?
Ich denke, in Norwegen ist eine größeren Community von Leuten, die wirklich Distanz fahren wollen. Das hat sich dort so gebildet, und es gibt mit dem Femund- und dem Finnmarksløpet zwei wirklich große und professionelle Rennen. Diese haben fest angestellte Leute und auch genügend Geld, um die Rennen immer professioneller durchführen zu können. Wenn ich 1998 und heute vergleiche, hat es eine riesige Entwicklung gegeben.
In Schweden gibt es ein paar lokale Rennen, die werden von engagierten Schlittenhundeleuten organisiert, aber es gibt dort nicht die Community von Langdistanzfahrern. Man sieht es ja an der Teilnehmerliste von Femund- und Finnmarksløpet. Da sind 80, 90 Prozent Norweger, und dann noch ein paar verrückte Ausländer.
.. und diese kommen hauptsächlich aus Schweden und Finnland, und die anderen haben einfach eine riesige Anreise.
Die haben auch ein Trainingsproblem. Wir haben das ja früher auch gemacht, dass wir zum großen Teil in Deutschland trainiert haben.
Wir haben nach einem Rennen auf Schnee darum gebeten, dass wir die Strecke noch einmal fahren dürfen. Unter der Woche gab es dann wieder Training ohne Schnee im Wald.
Die bekannten Langdistanz-Schlittenhunderennen
Rennen fahren
Was macht für dich, nach den Erfahrungen, die du selbst gemacht hast, und was du bei anderen gesehen hast, einen guten Schlittenhundefahrer aus?
Sehr gutes Einfühlungsvermögen ist das A und O. Am Ende geht es nur als Team. Die Hunde und der Mensch hinten auf dem Schlitten müssen harmonieren. Man muss wissen, was die Hunde können, und wo man dann auch aufhören muss. Es kann durchaus passieren, dass sich die Hunde einfach hinlegen und nicht mehr weiter wollen. Das war früher noch viel mehr verbreitet als heute. Weil die Hunde besser geworden sind und die Teams professioneller.
Mir scheint es auch nicht so einfach, dass sich alle Hunde vertragen. Was ist für die die Kunst, ein richtig gutes Team zusammenzubekommen?
Das wichtigste, was man haben muss, sind gute Leithunde, die auch nach 800 Kilometern noch selbstständig wieder aufstehen. Davon muss man mehr haben als einen oder zwei, weil immer Verletzungen auftreten können. Die Hunde müssen auch bei schlechtem Wetter und Sturm gegen den Wind weitergehen. Das kann man über Training erreichen, aber wenn der Wille nicht da ist, nützt das ganze Training nichts.
Ansonsten muss schon jeder Hund neben dem anderen laufen können. Wenn ich dabei bin, ist die klare Ansage, dass nicht gestritten wird. Wir achten natürlich darauf, dass Hunden nebeneinander laufen, die sich gut vertragen, aber wenn das Team kleiner wird, muss man manchmal Kompromisse eingehen. Es ist wichtig, dass eigentlich jeder Hund mit jedem anderen laufen kann. Wenn man in den Checkpoints ist, und man hat zwei Streithähne nebeneinander … Man muss ja auch mal weg von den Hunden oder ein, zwei Stunden schlafen können.
Das funktioniert dann über die Autorität, die man gegenüber den Hunden hat, zumindest theoretisch?
Wir haben einen guten Freund, der hat mal den Spruch geprägt: Einer muss der Chef sein, besser, ich bin das.
Du sprachst gerade das Thema Schlaf an. Wie macht man das denn beim Finnmarksløpet, das Rennen dauert ja mehrere Tage?
Das ist eins der Hauptprobleme – dass man mit dem Schlafmangel zurecht kommt. Das fand ich am Anfang schlimmer. Mittlerweile weiß ich, was kommt, und kann mich darauf einstellen. Das erste Rennen habe ich noch mit viel Cola und Ähnlichem bewältigt. Mittlerweile gibt es gar nichts mehr, kein koffeinhaltiges Getränk. Dann kommt man gleichmäßig durch und hat nicht diese Hochs und Tiefs.
Kann man sich denn überhaupt so entspannt hinlegen? Soweit ich weiß, darf man zwar an den Checkpoints Hunde an seine Handler abgeben, aber ansonsten muss man sich ja um alles allein kümmern.
Die Hunde wollen nach den ersten 200, 300 Kilometern auch Pausen haben. Man fährt rein in die Checkpoints, dann gibt es Futter, die Hunde bekommen Decken und werden auf Stroh gepackt und dann liegen die auch. Man kann mal zwei, drei Stunden weg sein oder auch vier. Bei der 16-Stunden-Pause gehe ich immer wieder hin und sehe nach, ob sie noch zugedeckt sind, und dann werden sie auch mal bewegt. Wenn sie zu lange liegen, wird die Muskulatur steif, deshalb ist es gut, wenn man einen kurzen Moment spazieren geht.
Man muss seine Hunde selbst versorgen. Aber die Handler können einen Blick darauf haben, ob alles in Ordnung ist, und einen wecken, wenn sie Probleme sehen.
Ich habe in meiner Jugend eher den Pferdesport verfolgt. Für mich war es unbegreiflich, wie jemand brutal zu seinem Pferd sein konnte, aber es ist nun mal Realität, dass es Leute gibt, die illegale Trainingsmethoden anwenden, dopen usw. Kommt so etwas auch im Hundesport vor? Wie siehst du den Tierschutz gewährleistet?
In Norwegen hat Mattilsynet, die Aufsichtsbehörde auch für den Tierschutz, darauf eingewirkt, dass die tierärztlichen Kontrollen besser dokumentiert werden, und dass man auch dokumentiert, warum Hunde aus dem Rennen genommen werden. Fast alle Musher, die wir kennen, trainieren ihre Hunde über Motivation und bringen sie so zu diesen Leistungen – und arbeiten nicht mit Stock und Peitsche.
Die bekannten Langdistanz-Schlittenhunderennen
Rennen jenseits des Atlantiks
Du bist auch in Nordamerika gefahren, bei Yukon Quest und Iditarod. Ist das ein sehr großer Unterschied, abgesehen von der Strecke?
Iditarod und Quest sind zwei völlig verschiedene Rennen. Iditarod war zumindest damals – es ist ja schon eine Weile her bei mir – eine sehr kommerzielle Veranstaltung. Wir hatten Freunde dabei und wollten für die ein Hotel buchen, ziemlich im Busch in Alaska. Da wollten die 300 Dollar die Nacht. Und haben gleich gesagt, das sei aber kein europäischer Standard. Ich habe gefragt, wie sie dann die 300 Dollar rechtfertigen, und da haben sie gesagt, es sei nur einmal im Jahr Iditarod.
Es ist eine ganze Tourismusindustrie um das Rennen herum entstanden. Besucher werden zu Checkpoints geflogen und können sich das Rennen ansehen, und nach Nome zum Zieleinlauf. Es ist sehr professionell durchorganisiert.
Es gibt zwischen dem Start und Nome keine Straßen. Die gesamte Verpflegung, der gesamte Transport von Hunden aus dem Rennen heraus findet per Flugzeug statt, Sie haben etwa 30 Buschflieger im Einsatz. Diese sammeln die Hunde, die aus dem Rennen genommen werden, und bringen sie zu zwei Orten, wo auch normale Linienmaschinen hinfliegen. Von dort gehen sie nach Anchorage zurück. Interessanterweise werden die in Anchorage ins Gefängnis gebracht, die Gefangenen passen auf sie auf. Man muss dann Leute haben, die sie dort abholen. Auch die Organisation für einen selber ist nicht zu unterschätzen. Die ganzen Teams, die in Nome ankommen, gehen alle mit dem Flugzeug zurück. Die Strecke, die man vorher mit dem Hundeteam gefahren ist, fliegt man dann in zwei Stunden. Es ist ein Riesenaufwand. Man muss gut vorbereitet hingehen, damit man eine Chance hat, ins Ziel zu kommen.
Das Quest ist so, wie man sich das früher vorstellt. Leute, die in den Busch ziehen und die Hütte anheizen, und jeder, der vorbeikommt mit seinem Team, kriegt dann was zu essen, warmes Wasser, kann da seine Hunde parken, einen Moment schlafen und dann weiterfahren. Es gibt viel mehr Unterstützung von der lokalen Bevölkerung. Die Schlittenhundefahrer werden mehr geachtet.
So wie ich es kennengelernt habe, ist es die härtere Variante, auch, weil es Anfang Februar stattfindet. Wir hatten beim Quest die ersten sechs Tage zwischen 30 und 40 Grad Minus. Anfang Februar ist es auch viel dunkler, man muss also mehr mit Stirnlampe fahren. Die Herausforderung durch die Kälte ist schon deutlich höher als beim Iditarod, das ja im März ist. Aber es ist auch von Jahr zu Jahr unterschiedlich.
Die bekannten Langdistanz-Schlittenhunderennen
Zukunftspläne
Du hast nun deinen 15. Finnmarksløpet vollendet. Würdest du es noch einmal machen oder ist es jetzt genug?
Ich würde es noch einmal machen. Aber wir gehen jetzt auf die Rente zu, was die Finanzen nach unten fährt. Und Finnmarksløpet ist eigentlich eine Aufgabe eines ganzen Jahres. Man muss sehen, dass man ein Team zusammen hat, das muss vernünftig trainiert werden, das geht von August bis zum Start. Vielleicht fahren wir jetzt hier mehr Touren. Schweden ist groß und Norwegen gleich nebenan. Und nur noch kürzere Rennen.
Interview: Andrea Seliger im Mai 2022