Zwei Herzen für das Eis

Tiefe Temperaturen, Dunkelheit und Eisbären. Der Winter auf Spitzbergen erlegt den Menschen Beschränkungen auf, die auch mit den Errungenschaften der Technik nur begrenzt überwindbar sind. Hilde Falun Strøm und Sunniva Sorby wussten, worauf sie ich einlassen, denn sie haben bereits einen Winter in der alten Fängerhütte Bamsebu am Van Keulenfjord hinter sich. Ihr Projekt „Hearts In The Ice“ will die Menschen über die arktische Region informieren – und damit den Wunsch wecken, diese auch zu schützen. Denn bekanntlich ist der Klimawandel dort besonders  deutlich sichtbar.

Hilde und Sunniva

Sunniva Sorby (links) und Hilde Falun Strøm. Foto HITI

Die Norwegerin Hilde Falun Strøm lebt seit mehr als 25 Jahren in Longyearbyen/Spitzbergen.

Sunniva Sorby ist zwar auch in Norwegen geboren, aber in Kanada aufgewachsen und lebt heute dort, wenn sie nicht unterwegs ist. Sie gehörte zur ersten Südpolexpedition, bei der nur Frauen dabei waren.

Beide haben langjährige Erfahrung im Umgang mit polaren Verhältnissen und Fortbewegungsarten.

Aufgrund der beschränkten und bereits ausgelasteten Internetkapazitäten wurde das Interview im Januar 2021 per E-Mail geführt. Sämtliche Bilder stammen aus dem Archiv von Hilde Falun Strøm und Sunniva Sorby selbst (Hearts In The Ice, HITI).

Die Situation in Bamsebu

Wie sieht es gerade um eure Hütte herum aus? Wird es mittags schon etwas heller oder ist es immer noch komplett dunkel? Habt ihr Sehnsucht nach dem Licht?

Bamsebu

Bamsebu

Es ist immer noch komplett dunkel. Manchmal sehen wir einen hellen Schimmer, ein Zeichen dafür, dass das Licht kommt, aber die meiste Zeit ist es immer noch dunkel. Wir freuen uns auf die Rückkehr des Lichts, aber die Dunkelheit hat auch etwas Einzigartiges, Besonderes. Sie versetzt deine Energie in eine Art Winterschlaf. Und sie begrenzt definitiv, wo wir gehen können, wegen der Eisbären.

Hattet ihr interessante (tierische) Besucher in den vergangenen Wochen?

Eisbär

Eisbär bei Bamsebu. Foto HITI

Wir hatten in den vergangenen Wochen einige Eisbärenbesuche. Der jüngste ist erst ein paar Tage her. Wir hörten ein Geräusch an der Seitenwand der Hütte, zogen uns so blitzschnell an wie die Feuerwehr und gingen hinaus. Als Hilde versuchte, die Tür zu öffnen, konnte sie den Druck des Eisbären spüren. Die Tür ging auf, und der Eisbär bewegte sich fort. In den letzten zehn Tagen hatten wir drei solcher Besuche. Es macht einem deutlich bewusst, dass man nie weiß, wo sie sich verbergen – sie sind so leise und vorsichtig, aber auch neugierig, und können dich von hinten überraschen, wenn du nicht aufpasst.

Fühlt sich dieser Winter in Bamsebu anders an als euer erster und inwiefern?

Bamsebu Team

Hilde Falun Strøm (links) und Sunniva Sorby. Foto HITI

Ja, er fühlt sich anders an. Schwer zu sagen, warum. Wir sind nun schon 14 Monate hier gewesen, wir haben also schon viel Zeit damit verbracht, hier zusammen allein zu sein, die Stürme durchzustehen, Ausrüstungsprobleme zu lösen und mit der Isolation klar zu kommen. Unser Projekt Hearts in the Ice ist ein großer Erfolg geworden und versammelt Menschen zum Thema Klimawandel. Wir haben eine Bewegung geschaffen und wir sind hierher zurückgekehrt wegen Covid. Wir fühlten, dass wir von hier aus eine sehr viel mächtigere Plattform haben, mit Schülern weltweit in Kontakt zu kommen, und dass wir hier für die Wissenschaftler nützlich sein können, denn wir können hier die Daten sammeln, die sie aufgrund der existierenden Reisebeschränkungen nicht sammeln können.

Könnt ihr jagen oder angeln oder lebt ihr komplett von den Vorräten, die ihr mitgebracht habt?

Wir leben von den frischen und gefrorenen Vorräten, die wir mitgebracht haben. Der Fjord ist offen, aber die See war rau, deshalb waren wir nicht angeln. In unseren Oru Kajaks haben wir am 30. Dezember Phytoplankton für Fjordphyto gesammelt und die Temperatur des Meerwassers gemessen. Vergangenen Winter um diese Zeit war das Meer schon seit Wochen gefroren.

Habt ihr diesen zweiten Winter anders vorbereitet? Vorräte, von denen ihr mehr oder weniger gekauft habt, oder etwas anderes?

Mehr Musik und mehr Filme.  Einige besondere Lebensmittel. Mehr aufgenommene Yogakurse.

Zwischen dem ersten und dem zweiten Aufenthalt

Wie war es, zurück in die menschliche Gesellschaft zu kommen – in eine, die sich aufgrund von Corona verändert hat?

Überwältigend. Traurig und ein Augenöffner. Es schien, als ob alle den Sinn für Humor verloren hätten. So viel Verzweiflung und Unsicherheit. Wir konnten es fühlen.

Wie fühlte es sich an, nach Bamsebu zurückzukehren?

Wir fühlten uns nicht ganz bereit. Und wir kamen von einer von Reizen überstimulierten Welt in eine, in der es gar keine gab. Am Anfang war es schwer, damit umzugehen. Es dauerte gut drei Wochen, bis wir zurück in einem guten, gesunden Rhythmus waren.

Klimabeobachtung und Internetkurse

Ihr teilt eure Erfahrungen in der Arktis in Online-Kursen für junge Leute. Wie reagieren diese?

Sie sind so engagiert und interessiert. Ihre Fragen sind der Höhepunkt der Sendungen. Sie sind vorbereitet auf alle Themen, über die wir sprechen, und ihre Lehrer scheinen dankbar dafür zu sein, dass die Kindern interaktiv und in Echtzeit mit Entdeckern, Experten und aktuellen Ereignissen in Kontakt kommen können.

Nach meiner Beobachtung hat Corona viel Aufmarksamkeit von den Klimawandel-Thmene abgezogen. Habt Ihr auch diesen Eindruck? Hört man euch mit Klima-Themen noch zu?

Polarlicht Bamsebu

Polarlicht am Van Keulenfjord. Foto HITI

Es gibt eine enorme Aufmerksamkeit für das, was wir tun, und wo wir sind. Es gibt eine Verbindung zwischen unserer selbstgewählten Isolation und warum wir hier sind und der weltweit auferlegten Isolation, die die anderen nicht selbst gewählt haben. Wir sind wahrscheinlich die nördlichsten virusfreien Menschen weltweit!

Es scheint mehrere Verbindungen zwischen Corona als Krise und dem Klima als Krise zu geben. Beide verlangen weltweit Aufmerksamkeit und Teilnahme und beide bedrohen uns direkt als Spezies. Die Erstarrung der Reisemöglichkeiten und der bisher üblichen individuelle Bewegungsfreiheit hat eine Änderung des Verhaltens erzwungen – und wie die Menschen sich selbst sehen, während sie isoliert sind und nur begrenzt mit anderen interagieren. Es ist, als sei die Welt zu einem Winterschlaf gezwungen worden. Gezwungen dazu, zu überdenken, wie wir leben, was wir brauchen, wie wir miteinander umgehen und was wirklich wichtig ist – Gemeinschaft, Essen, Wasser, Schutz und Liebe.

Ihr lebt sehr einfach, benutzt aber High-Tech-Ausrüstung für die Wissenschaft und die Kommunikation – das ist zumindest der Eindruck, den ich aus den Medien gewonnen habe. Gibt es etwas, was „die Welt“ aus euren Erfahrungen mit dieser Kombination lernen kann?

Bamsebu am Fjord

Bamsebu am Fjord. Foto HITI

Alles ist möglich. Gebt niemals auf. Wir sind in der glücklichen Lage, eine Thales Satellitenverbindung zu haben, die uns von Marlink zur Verfügung gestellt wird. Für unser Ziel, eine globale Plattform für einen Dialog rund um Klimawandel zu schaffen, haben wir an viele Türen geklopft, um eine Lösung zu finden, die uns das von diesem abgelegenen Ort ermöglicht. Die Technologien und Lösungen sind dazu da, damit wir die drängendsten Probleme der Welt lösen können – wir müssen sie nur finden und für Zwecke nutzen, die der ganzen Menschheit helfen und nicht zum Selbstzweck. Wir haben bewiesen, dass es möglich ist, Leidenschaft für ein Thema zu haben – Klimawandel und sein Einfluss auf die Menschen und unseren Planeten – und Akteure aus allen Bereichen zusammen arbeiten zu lassen, um etwas zu bewirken. Dies ist ein Führungsmodell, das wir heute auf allen Ebenen brauchen.

Ihr beide kennt die Polargebiete schon lange. Ihr kennt vermutlich viele Beispiele dafür, wie Dinge sich ändern, aber gibt es etwas Besonderes, was ihr teilen wollt?

Hearts In The Ice

Beschütze, was du liebst. Foto HITI

Die Arktis und die Antarktis haben in den vergangenen 10 bis 15 Jahren gewaltige Veränderungen erlebt. Die Temperatur in der Arktis steigt vier Mal schneller in der Arktis als in der restlichen Welt. Wir beschützen, was wir lieben. Hearts in the Ice wurde aus unserer leidenschaftlichen Liebe für die eisigen polaren Regionen geboren. Wir haben Veränderungen gesehen, die Arten verdrängt haben. Veränderungen, die das Überleben von solchen gefährden, die wir sehen können, wie Eisbären, und von solchen, die wie kaum sehen können, wie Phytoplankton. Wir wollen alle dazu ermutigen, diese Neugier auf unsere natürliche Welt zu wecken: findet etwas, das euch am Herzen liegt, und dann arbeitet dafür, als ob euer Leben davon abhinge, um es zu beschützen.

Interview und Übersetzung Andrea Seliger

Homepage Hearts In The Ice:

https://www.heartsintheice.com/

Die beiden haben auch ein Buch über ihre Erfahrungen aus dem ersten Winter geschrieben, das auf der Homepage bestellt werden kann (auf Englisch).