Wie ist das, wenn man einen Gletscher gut kennt, und plötzlich fehlt da ein großes Stück? Wenn nicht nur ein bisschen weggeschmolzen ist, sondern so viel, dass sich das gesamte Panorama verändert hat? Birgit Lutz bereist Spitzbergen seit 16 Jahren beruflich. Es sind 16 Jahre, in denen dort viel passiert ist – nicht nur aufgrund des Klimawandels. In „Mein Spitzbergen“ präsentiert sie uns das blaueste Blau, den besonderen Geist von Longyearbyen, Protagonisten wie Krabbentaucher und Ruderfußkrebse und natürlich Eisbären. Doch die Frage „Wie lange noch“ steht immer im Raum.
Viele der eindrucksvollen Erlebnisse, von denen Birgit Lutz berichtet, stammen von Schiffstouren, auf denen sie als Guide oder Expeditionsleiterin dabei war, auf vergleichsweise kleinen Schiffen wie dem Segelschiff Antigua oder dem umgebauten Hochseekutter Cape Race. Andere stammen von individuellen Abenteuern, wie die drei Wochen Trapperhütte in Farmhamna zusammen mit einer Freundin. Immer wieder schildert sie die Herausforderungen der Natur. Aber auch, was eine Umgebung wie auf Spitzbergen mit einem macht: Man wird aufmerksam, weil man es muss. Es gibt aber auch nicht so viele störende Neben-Reize, die man ausblenden muss, um sich auf das Wesentliche konzentrieren zu können. „Die Arktis hat meine Sensoren geschärft, meine Filter geöffnet. Das ist in der Wildnis gut, in der Zivilisation manchmal hinderlich“, schreibt Birgit Lutz.
Die „Norwegisierung“ Spitzbergens
Die Besonderheit der Gesellschaft auf Spitzbergen entsteht durch den Spitzbergenvertrag von 1920, der die bisher staatenlose Inselgruppe Norwegen zusprach. Bürger von Unterzeichnerstaaten haben dort allerdings weitgehende Rechte, was es Ausländern erst einmal einfach macht, sich dort anzusiedeln. Die jüngsten norwegischen Regierungen sahen dadurch allerdings ihr Ziel von einer „norwegischen“ Präsens bedroht, und sie strichen Ausländern, auch lange ansässigen, das erst 2002 überhaupt eingeführte kommunale Wahlrecht. Birgit Lutz berichtet noch von weiteren, subtileren Maßnahmen, die es Ausländern inzwischen schwerer machen. Für sie ist es ein Anlass, am positiven Bild vom norwegischen Staat zu zweifeln. Verstärkt wird dies durch die anstehenden Verschärfungen im Bereich Tourismus, gegen den die Branche bereits Sturm lief, weil sie die Lösungen nicht für zielführend hält. Nein, Birgit Lutz ist wahrlich kein Fan der neueren norwegischen Svalbard-Politik – aber da ist sie nicht die Einzige, das dürfte auf einen Großteil Longyearbyens zutreffen.
Wenn Dinge passieren, die noch nie passiert sind
Birgit Lutz schreibt persönlich, anschaulich und verständlich. Man merkt die Erfahrung darin, komplizierte Verhältnisse zu erklären, seien es biologische Vorgänge oder geschichtliche Zusammenhänge. Sie kann aber auch sehr gut ihre Begeisterung für die Schönheit der Natur dort vermitteln. Ebenso wie die Betroffenheit über den Klimawandel, die für sie 2015 richtig einschlug. Da ließ sich nicht mehr wegdiskutieren, was alle gerade erlebt hatten: Dass Dinge passieren, die es vorher so nicht gab. Es schmelzen nicht nur Gletscher, es ändern sich ganze Wetterprozesse,und plötzlich gehen im Winter Lawinen nach Longyearbyen ab. Damals starben zwei Menschen durch Lawinen in ihren eigenen Häusern.
Um die Arktis zu retten, die sie so liebt, betreibt Birgit Lutz inzwischen viel Aufklärungsarbeit. Ganz praktisch „rettet“ sie zumindest immer wieder zusammen mit den Gästen auf Spitzbergen Strände vor Müll – in Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut, das so an exakte Daten kommt.
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- „Mein Spitzbergen“ von Birgit Lutz ist im Mare Verlag erschienen, ISBN 978-3-86648-686-7.
- Wer mehr über das Buch und die Autorin wissen und mit ihr diskutieren möchte, kann morgen, Dienstag, 19. November, auf Zoom am „Arktischen Abend“ teilnehmen. Tickets gibt es in ihrem Polarshop. Mit der Vorstellung des Buches beginnt eine Serie von Online-Veranstaltungen im Winterhalbjahr zum Thema Arktis.
Ein früheres Buch zum Thema: