Überfischung: Heringe mit „kollektivem Gedächtnisschwund“

Norwegen. Über hundert Jahre lang kam der norwegische frühjahrslaichende Hering, der größte Heringsbestand der Welt,  zum Laichen an die Küste von Møre. 2021 änderte sich plötzlich das Verhaltensmuster: Seitdem laicht er vor den Lofoten. Dieser plötzliche Bruch der Gewohnheiten stellte die Wissenschaftler vor ein Rätsel. Nun bieten Forscher des norwegischen Meeresforschungsinstituts einen Erklärungsansatz : „Kollektiver Gedächtnisschwund“ – weil zu viele ältere Fische gefangen worden waren und die jüngeren es nicht besser wussten. Die Studie ist auch in Nature erschienen.

Heringsschwarm. Foto Havforskningsinstituttet

Eigentlich seien die Bedingungen für den frühjahrslaichenden Hering vor Møre sehr günstig, so Meeresbiologe Aril Slotte  in der Mitteilung des Meeresforschungsinstituts. Doch von 2017 bis 2022 sei dieser Bestand überfischt worden – und insbesondere die großen Exemplare seien besonders begehrt gewesen. Gleichzeitig sei der sehr starke Jahrgang der 2016 geborenen Heringe geschlechtsreif geworden. „Es waren zu wenige ältere Fische übrig, un den jungen Heringen zu zeigen, wo sie laichen sollten. Die neue Generation musste improvisieren“, so Slotte.

Breite Datenbasis

Der Ansatz von Slotte und seinen Kollegen stützt sich auf zahlreiche Daten zum norwegischen frühjahrslaichenden Hering aus der Zeit von 1988 bis 2024: Fangstatistiken, Expeditionen, Bestandsschätzungen, Markierungen und biologische Proben. So markierten Forscher von 2016 bis 2023  200 000 Heringe bei ihrer Überwinterung in Troms. Deren Daten zeigen, dass der „alte Hering“ weiter vor Møre laichte, aber damit aufhörte, als der 2016er Jahrgang die Mehrheit im geschlechtsreifen Bestand übernahm. 

„Das Wichtigste für den Hering ist das Kollektiv“

Die Studie basiert auf der Annahme, dass Schwarmfische von Individuen mit langer Erfahrung  angeführt werden. Der Nachwuchs sei abhängig von einer Kompetenzüberführung. Dafür waren offenbar nicht genügende ältere Exemplare übrig. Die verbliebenen ordneten sich den neuen Mehrheiten unter. „Das Allerwichtigste für den Hering ist das Kollektiv. Allein zu bleiben ist keine Alternative, Sie müssen dem Schwarm folgen, auch wenn der in eine ungewohnte Richtung geht“, so Slotte.

Das neue Muster könnte auch Auswirkungen auf andere Arten haben, zum Beispiel Seevögel, die sich früher von Heringslarven ernährten.

Zukünfter Quotenrat muss Altersstruktur berücksichtigen

Für die Meeresforscher folgt damit auch eine wichtige Erkenntnis für den Quotenrat. Zukünftige Ratschläge müssten mehr Rücksicht auf die Altersstruktur nehmen.  „Hätten mehr ältere Heringe überlebt, würde wahrscheinlich weiterhin vor Møre gelaicht“, so Slotte.

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