Island. Sie hatten schon immer der Verdacht, dass Politiker unter sich ganz anders reden als zum Wahlvolk? Eine verärgerte Tischnachbarin hat in der Hotelbar Klaustur in Reykjavik aufgenommen, was sechs angetrunkene Mitglieder des Alþing lautstark von sich gaben, und dies Medien zugespielt. Seitdem gibt es kaum ein anderes Thema auf der Insel.
Eine Parteivorsitzende wird als irre Fotze bezeichnen, ein weibliches Parteimitglied ist einfach nicht mehr „heiß“ genug für einen der oberen Listenplätze und eine Ministerin eine „verdammte Schlampe“, weil sie weder für körperliche Annäherungsversuche noch für Parteiwechsel zugänglich ist – nur ein Teil der Äußerungen über Politikerinnen, die Ende November über DV und Stundin an die Öffentlichkeit gelangten und seitdem praktisch täglich für neue Schlagzeilen sorgen. Außerdem prahlte einer mit einem von ihm eingefädelten Botschafter-Kuhhandel und eigenen Ambitionen, und eine körperlich behinderte Ex-Politikerin und Aktivistin wurde mit Seehundslauten bedacht.
Die Sechsergruppe bestand aus vier Fraktionsmitgliedern der Zentrumspartei (Miðflokkurinn), darunter eine Frau sowie Parteichef Sigmundur Davíð Gunnlaugsson persönlich, und zwei männlichen Kollegen der „Partei des Volkes“ (Flokkur Folksins), potentielle Parteiwechsler.
Die Bilanz bisher: Ein paar Entschuldigungen, ein paar Umdeutungen. Einen Botschafterposten wird der Betreffende sicher nicht bekommen. Die beiden Abgeordneten von Flokkur Folksins wurden wegen parteischädigenden Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen, wollen aber ihre Sitze im Alþing behalten. Die Zentrumspartei hat danach in den Umfragen massiv verloren, wie eine laufende Untersuchung von Gallup zeigte.
Zentrums-Chef Sigmundur Davíð Gunnlaugsson ist Kummer gewohnt: Eins war er Mitglied der Fortschrittspartei (Framsóknarflokkurinn) und Ministerpräsident Islands. Er musste im Zuge der Panama-Paper-Enthüllungen 2016 seinen Hut nehmen. Nun zeigt er sich in einem Facebook-Post unter anderem zutiefst empört über die „Abhörmaßnahmen“. Außerdem bestreitet er, dass beim Gespräch über die an Osteogenesis imperfecta erkrankte Ex-Politikerin Seehundsgeräusche gemacht wurden, das sei ein Stuhl gewesen.
Kreative Verarbeitung des Stoffes
Die Meinung des isländischen Wahlvolks über diese Politiker im Speziellen und möglicherweise auch über Politiker im Allgemeinen mag durch den Mitschnitt im „Klaustur“ gesunken sein. Die Kreativität verschiedener Branchen wurde dadurch offenbar enorm befeuert. Das Schauspielhaus nutzte die Vorlage aus dem wirklichen Leben und trug Auszüge daraus gratis vor. Die Rollen waren dabei „umgekehrt“ besetzt, mit fünf Frauen und einem Mann. Die Bar „Klaustur“, was übersetzt „Kloster“ bedeutet, serviert eine neue Biermarke mit einem Namen, der auf Sigmundur Davíð Gunnlaugssons Erklärung für die merkwürdigen Laute anspielt – inklusive eines passenden Liedes. Und der Künstler Þrándur Þórarinsson ließ sich vom Sprachgebrauch und vom Namen der Bar inspiriren und bildete die sechs auf seine Weise ab. Der Reykjavik Grapevine wies seine Leser darauf hin, es sei „NSFW“ – „Not suitable for Work“ und man möge vor dem Vergrößern auf seine Umgebung achten.