Risiko AMOC-Kipppunkt: Statt Wärme Frost für den Norden?

Island. Kippt die atlantische Umwälzströmung, die Heizung des Nordens? Zu diesem Thema hielt der deutsche Klimaforscher Stefan Rahmstorf gerade einen Vortrag auf der jährlichen Arktiskonferenz „Arctic Circle“ in Reykjavík. Für die nordischen Länder wäre diese Entwicklung mit massiven Folgen verbunden: Während alle anderen Länder um sie herum wärmer würden, würden sie um mehrere Grad kälter. Das Risiko, dass es tatsächlich so kommt, sei bisher unterschätzt worden, meinen 44 Fachleute aus 15 Ländern in einem warnenden Brief an die Minister des Nordischen Rates, die sich nächste Woche auf Island treffen.

Der nordatlantische Teil der Umwälzströmung (AMOC). Gestrichelte Linien sind STräme in der Tiefe.  R. Curry and C. Mauritzen/ Woods Hole Oceanographic Institution, nach Rahmstorf, S, 2024, CC BY 4.0

Die atlantische Umwälzströmung, international bekannt als Atlantic Meridional Overturning Circulation (AMOC), transportiert bisher warmes, salziges Wasser aus dem Tropen bis Island und Spitzbergen. Der bekannteste Teil davon ist der Golfstrom. Sein Ausläufer sorgt dafür, dass norwegische Häfen auch im Winter eisfrei sind – im Gegensatz zur nördlichen Ostsee. Nachdem das salzige Wasser all seine Hitze abgegeben hat, sinkt es ab und kehrt als Tiefenstrom zurück in den Südatlantik. Zwei Faktoren steuern diese Umwälzströmung: Salzgehalt und Temperatur. Mehr Schmelzwasser im Ozean senkt diesen Salzgehalt – und das ganze System könnte deshalb kippen.

50/50-Chance oder noch schlechter?

Der IPCC-Bericht von 2021 äußert „mittleres Vertrauen“, dass das Strömungssystem in diesem Jahrhundert (noch) nicht zusammenbricht. In den beiden vergangenen Jahren gab es jedoch Veröffentlichungen, die das Risiko höher einschätzen als diese 50/50-Chance, die schlecht genug ist. Darauf verweist der Brief der Wissenschaftler, den Rahmstorf in Reykjavík an den isländischen Umwelt- und Klimaminister Guðlaugur Þór Þórðarson für den Nordischen Rat übergab.

Der Cold Blob südlich von Island

Veränderung der Temperaturen der Meeresoberflächen seit dem 19. Jahrhundert. Zu sehen ist der Cold Blob südlich von Island und Grönland. Grau: keine Daten.  Zeke Hausfather, Berkeley Earth, nach Rahmstorf, S, 2024, CC BY 4.0

Anzeichen für eine Verlangsamung des AMOC gibt es bereits, und sie liegen von Reykjavík aus gesehen vor der Haustür: Während sich der Nordatlantik grundsätzlich erwärmt, zeigt sich südlich von Island und Grönland ein „Cold Blob“, eine Stelle, die in den vergangenen 100 Jahren kälter geworden ist. Der Golfstrom hat sich außerdem leicht verschoben, was sich an einer auffälligen Erwärmung an der amerikanische Ostküste nördlich von Kap Hatteras zeigt. Nach den bisher vorliegenden Daten ist die Umwälzströmung in den vergangenen 70 Jahren 13-15 Prozent  schwächer geworden.

Schwierig zu berechnen

Modell für ein Szenario mit doppeltem CO2-Gehalt und gestoppter Umwälzströmung.  Liu et al. (2017), nach Rahmstorf, S, 2024, CC BY 4.0

Rahmstorf verweist selbst in seinem Artikel in Oceanography zum Thema darauf, wie schwierig es ist, einen Stopp dieser Umwälzströmung mit den aktuellen Klimamodellen genau zu berechnen und zeitlich vorauszusagen. Wenn der Fall allerdings eintritt, so zeigt er an Beispielen aus der Vergangenheit, kann es sehr schnell gehen.

Angesichts der katastrophalen Folgen, die dies beispielsweise für die Landwirtschaft der nordischen Länder hätte, beschwören die 44 Unterzeichner die nordischen Minister, sich für die Einhaltung des Paris-Abkommens einzusetzen, um die Abschmelzung der Eisschilde so gering wie möglich zu halten.

Fachartikel zum Thema:

Früherer Artikel zum Thema:

Golfstrom-Studien: Die Heizung des Nordens ist schwächer geworden

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5 Antworten zu Risiko AMOC-Kipppunkt: Statt Wärme Frost für den Norden?

  1. Alice Werner sagt:

    @Peter Müller. Die langjährigen, gewissenhaften Forschungen der besten und renommiertesten WissenschaftlerInnen der Welt wischen Sie also einfach als unlogisch vom Tisch. Darf ich fragen was Ihre Qualifikationen in dieser Frage sind???

  2. Achim B. sagt:

    Die Oberfläche des grönländischen Eises ist aufgrund seiner Höhe von circa 3000 Meter im Bereich niedriger Temperaturen, wo es nicht oder wenig schmilzt. Das Eis dürfte derzeit vor allem im wärmeren Bereich von unten schmelzen. Je niedriger das Eis durch den Schmelzvorgang wird, umso größere obere Bereiche gelangen in niedrigere, wärmere Lagen und das Eis schmilzt zunehmend auch oben. Ein sich selbst beschleunigender Vorgang, der erst dann wieder endet, wenn die Temperatur soweit sinkt, daß mehr Schnee auf der Oberfläche liegen bleibt, als Schnee und Eis wegschmilzt.

  3. Peter Müller sagt:

    Wenn Grönland schmilzt, dann stoppt die AMOC und Grönland wird kälter (wie im Bild zu sehen). Aber wie soll Grönland, wenn es kälter wird, schmelzen? Die Aussage, dass die AMOC stoppt, ist also unlogisch und somit falsch.

    • Andrea Seliger sagt:

      Entscheidend ist die zeitliche Reihenfolge: Solange es wärmer wird, schmilzt das Eis. Wenn es so warm geworden ist, dass das Schmelzwasser das salzige Wasser so weit „verdünnt“ hat, dass die AMOC nicht mehr läuft, wird es in dem Bereich kälter.

    • FlorianF sagt:

      Viel zu einfach gedacht! Gleichzeitiges Schmelzen und Abkühlung: Es scheint widersprüchlich, dass Grönland gleichzeitig schmilzt und kälter wird, aber das kann dennoch geschehen. Das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes wird vor allem durch den globalen Klimawandel und den Temperaturanstieg in der Atmosphäre verursacht, während die AMOC vor allem den Wärmetransport im Ozean beeinflusst. Selbst wenn sich die ozeanische Temperatur durch eine schwächere AMOC lokal abkühlt, können die globalen atmosphärischen Erwärmungstrends das Schmelzen des Eises weiter antreiben. Falsche Logik im Satz: Der Satz, dass das Stoppen der AMOC „unlogisch und somit falsch“ sei, verkennt außerdem, dass mehrere klimatische Prozesse gleichzeitig wirken können. Die regionale Abkühlung durch den AMOC-Abriss widerspricht nicht dem gleichzeitigen Schmelzen durch die Erderwärmung.

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