Schweden. Beinahe hätte es letzte Woche einen Aufruhr gegeben in Schweden. Ein Tipp zur Reduzierung der Stromkosten kochte zur Diskussion um die Zukunft der Atomkraft hoch – und um den dringend notwendigen Strombedarf zu demonstrieren, wollten Atomkraftbefürworter alle zur gleichen Zeit den Staubsauger anwerfen. Nennenswerte Auswirkungen hatte das keine. Die Diskussion um die Atomkraft wird aber bleiben.
Ende 2020 ging plangemäß der 45 Jahre alte Reaktor Ringhals 1 bei Varberg vom Netz. Ein Jahr zuvor war bereits Ringhals 2 abgeschaltet worden. Diese Abschaltung hatte Betreiber Vattenfall bereits 2015 beschlossen – aus wirtschaftlichen Gründen. Die alten Reaktoren hätten aufgerüstet werden müssen, um neue Sicherheitsbestimmungen nach Fukushima zu erfüllen. Außerdem gab es damals in Schweden eine Steuer auf Atomkraft, die allerdings 2018 abgeschafft wurde. Neue Windkraftwerke sollen aber bereits im kommenden Jahr insgesamt mehr Leistung bringen als die beiden alten Atomkraftwerke.
Kalte Phase teuer für Stromverbraucher
In Schweden heizen viele mit Strom, weil er normalerweise sehr billig ist. Nun hat auch Südschweden in diesem Jahr einen kalten Winter bekommen – und der Strompreis ging in die Höhe. Wer ein flexibles Preismodell gewählt hatte, in der Hoffnung, damit günstig wegzukommen, musste nun dicke Kröten schlucken oder seinen Verbrauch reduzieren. Das tat beispielsweise eine große Papierfabrik und legte Teile des Betriebs vorübergehend still. Um den Bedarf in Spitzenzeiten zu decken, war das Reservekraftwerk in Karlshamn angefahren worden, das mit Öl läuft, außerdem wurde zeitweise Strom aus Dänemark, Deutschland, Polen und Litauen importiert, Darunter war auch „dreckiger“ Kohlestrom, was manche Politiker „peinlich“ fanden. Wäre Ringhals 1 noch am Netz, hätte man genug Strom gehabt, so die Argumentation derer, die vorher gegen die Abschaltung gekämpft hatten und gerne neue Reaktoren in Ringhals sähen. Allerdings hatte es auch schon vor der Abschaltung der beiden Atomkraftwerke Situationen gegeben, in denen Strom importiert werden musste. Aktuell laufen in Schweden noch sechs Atomkraftwerke, die zurzeit etwa 30 Prozent des Bedarfs decken. Es gibt keinen Ausstiegsbeschluss und kein festgelegtes Datum. Der kleine Regierungspartner Miljöpartiet ist allerdings gegen Atomkraft. Gut 40 Prozent produzieren zurzeit die Wasserkraftwerke, 20 Prozent der Wind.
Rechnerisch hat Schweden keinen Strommangel und exportierte in der Gesamtbilanz 2020 25 Terawattstunden mehr als es importierte. Die großen Wasserkraftwerke sind allerdings im Norden, ebenso wie die Mehrheit der neuen Windkraft. Die Leitungen in den Süden sind zurzeit nicht ausreichend, der Ausbau soll noch 20 Jahre dauern. Energieintensive Industrie mit Wahlmöglichkeiten wie der Facebookserver (Luleå) oder die Batteriefabrik von Northvolt (Skellefteå) siedelt sich deshalb gezielt dort an, wo der Strom erzeugt wird und wo er billiger ist als im Süden. Die nordischen Länder handeln den Strom an der gemeinsamen Börse Nord Pool.
Der Staubsauger als Widerstandssymbol
Ein SVT-Redakteur hatte angesichts der Lage einen Beitrag erstellt, in dem er Bürgern riet, an den kältesten Tagen auf das Staubsaugen zu verzichten – dem Geldbeutel und der Umwelt zuliebe. Das nahmen die Atomkraftbefürworter zum Anlass, gegen die aktuelle Energiepolitik zu protestieren. Ebba Busch, Vorsitzende der oppositionellen Christdemokraten posierte mit Staubsauger im verschneiten Wald und forderte den Bau neuer Atomkraftwerke. Unter #dammsugarupproret (dammsugare – Staubsauger) wurde in den sozialen Medien zum kollektiven Staubsaugen zu festgelegter Zeit aufgerufen – also eine Art umgekehrte Earth hour. Das schwedische Stromnetz hat dies offenbar unbeschadet überlebt.
Südschweden kann nicht auf den Norden hoffen
Die Herausforderung der Zukunft wird allerdings über das Staubsaugen an ein paar kalten Tagen hinausgehen – und mit einer besseren Leitung von Nord nach Süd ist es auch nicht getan. Ist Northvolt erst einmal voll in Betrieb, und stellen LKAB (Bergbau) und SSAB (Stahlherstellung) tatsächlich auf die fossilfreie Methode um, an der sie gemeinsam arbeiten, dann braucht der Norden seinen Strom selbst, und der wird noch nicht einmal reichen. Energiepolitik dürfte deshalb eines der wichtigsten Wahlkampfthemen 2022 sein. Nachbarland Finnland hat sich bekanntlich für neue Atomkraftwerke entschieden – aber Olkiluoto 3 hat auch zehn Jahre nach der ursprünglich vorgesehenen Fertigstellung noch keine Kilowattstunde geliefert, und für Pyhäjoki gibt es noch nicht einmal eine Baugenehmigung.
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Schweden: Reaktor Ringhals 2 abgeschaltet – Debatte geht weiter