Kiel/Spitzbergen. Vor gut 400 Jahren begannen Menschen, Spitzbergen als Basis für die Jagd zu nutzten – Wale, Walrosse, Eisbären, aber auch Rentiere. Damit brachten sie die Bestände dort fast an den Rand der Existenz. Aber wie viel Beute machten sie genau und welche Auswirkungen hatte das für das Ökosystem? Und haben die Bestände wieder zugenommen, seit die Arten unter Schutz stehen? Was können wir daraus lernen? Auf diese Fragen will Arktisforscherin Dr. Frigga Kruse von der Universität Kiel in ein paar Jahren eine Antwort haben.
Die Geologin und Archäologin aus Mörel in Schleswig Holstein hat ihr Abitur an einer internationalen Schule in Papua-Neuguinea gemacht, wo ihr Vater als Ingenieur arbeitete. Zum Studieren ging sie zunächst nach Schottland. Das erste Mal auf Spitzbergen war sie 2008: Für ihre Doktorarbeit an der Universität Groningen erforschte sie die Geschichte des britischen Bergbaus dort. Das Ergebnis gibt es auch als Buch: „Frozen Assets“. „Industriegeschichte ist mehr als Schutt und Asche und rostige Kräne. Es stehen immer Menschen dahinter“, sagt Frigga Kruse. Diese Erfahrung machte sie bereits bei ihrer Arbeit für eine britische Firma. Auch das scheinbar so unberührte Spitzbergen ist voll von Geschichten für den, der die Spuren zu lesen vermag – so wie die 40-Jährige mit der Doppelqualifikation: „Spitzbergen erzählt die Geschichten – wir übersetzen nur.“
Auch das kommende Projekt beschäftigt sich mit den Aktivitäten von Menschen. Diesmal geht es um die Jagd: „Timeless Arctic – Commercial Hunting in the Reconstruction of Human Impact in Svalbard“ ist der offizielle Name des Forschungsvorhabens. Dabei geht es um die Entwicklung der „arktischen Big Five“ : Grönlandwal, Walross, Eisbär, Spitzbergen-Rentier und Polarfuchs. Mit ihrem Konzept hatte sie sich um ein Freigeist-Fellowship der Volkswagen-Stiftung beworben, das mit einer Million Euro dotiert war. Dieses Programm fördert „Querdenkerinnen und Querdenker, die über die Grenzen der eigenen Fachdisziplin hinausblicken“. Frigga Kruse bekam den Preis.
Erste Aufgabe: Lücken der Statistik füllen
Zur Umsetzung hat sich die Wissenschaftlerin die Universität Kiel ausgesucht. Angesiedelt ist ihr Projekt bei der Ökosystemforschung, denn da soll es irgendwann hin gehen: Mit den Daten aus der Jagdgeschichte auf Spitzbergen können Ökosystemforscher Erkenntnisse zum Umweltmanagement gewinnen. Zunächst aber wartet auf Kruse und ihr Team die Basisarbeit: Lücken füllen in den bekannten Statistiken über Jagdergebnisse, teils durch Arbeit in Archiven und Museen, teils durch Untersuchungen vor Ort. Das Praktische auf Spitzbergen: Aufgrund des Permafrosts liegen sämtliche Funde nicht tief.
Herausfordernd ist allerdings, dass jeder gleichzeitig Packesel ist: „Ich glaube, ich habe noch nie so viel geschleppt“, berichtet Frigga Kruse von früheren Projekten. Denn mit einem Auto kommt man nur sehr begrenzt weit. Per Boot geht es zu den Inseln oder Stränden. Und an Land sind die Forscher dann auf ihre Füße angewiesen. Zur Standardausrüstung gehört auch das Gewehr, denn Eisbären können überall sein. Wie für alle, die sich außerhalb der Orte auf Spitzbergen bewegen, gelten für sie klare Regeln zum Umgang mit den Tieren.
Tierbestände haben sich erholt – neue Probleme durch Klimawandel
Frigga Kruse kennt Spitzbergen nicht nur von den Forschungsprojekten: Mehrfach fuhr sie als Guide auf Expeditionskreuzfahrtschiffen mit und stieß dort auf interessiertes Publikum, dem sie direkt von ihren Untersuchungen berichtete. Sie vermutet: „Ich habe mehr Menschen auf Kreuzfahrtschiffen erreicht als durch wissenschaftliche Vorträge“.
Und wie ist nun die Situation der Tierwelt auf und um Spitzbergen? Haben sich die Bestände von der intensiven Jagd erholt? „Es hat lange gedauert“, sagt Kruse – doch die Zählungen der Walrosse gingen nun nach oben. Auch Grönlandwale sehe man wieder – diese galten schon als ausgestorben. Polarfüchse waren nie bedroht, haben vermutlich auch vom Schutz der Eisbären profitiert. Rentiere erholten sich so gut, dass sie heute wieder gejagt werden dürfen.
Durch den Klimawandel könne es allerdings neue Probleme geben: Vereister Regen auf Schnee verhindere, dass die Rentiere im Winter an ihr Futter kommen. Und die jungen Eisbären verpassten den Weg aufs Eis, da es inzwischen zu weit weg sei, dadurch fehle ihnen dann die Nahrung. Und wenn mehr Eisbären an Land blieben seien diese „für die Touristen sichtbarer, aber auch gefährlicher“.
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