Norwegen. Wie kann es sein, dass ein mit modernstem Gerät ausgestattetes Kriegsschiff mit einem hell beleuchteten Tanker zusammenstößt? Die Kollision zwischen der Fregatte KNM Helge Ingstad und dem Tanker Sola TS vor einem Jahr ließ alle rätseln. Der detaillierte Bericht der Havariekommission, der gestern vorgestellt wurde, zeigt nun eine Verkettung unglücklicher Umstände. Die größten Fehler wurden allerdings auf der Fregatte gemacht – und die Verkehrsleitzentrale wurde ihrer Aufgabe nicht gerecht.
Zur Erinnerung: Der Unfall geschah am 8. November nachts um 4 Uhr im Hjeltefjorden nördlich von Bergen. Die KNM Helge Ingstad war auf dem Rückweg vom Nato-Manöver „Trident Juncture“. Die Fregatte sank infolge der Kollision. Alle konnten gerettet werden. Der Tanker, der gerade mit rund 100 Million Litern Rohöl an Bord vom Terminal abgelegt hatte, hatte keine nennenswerten Schäden. Abgesehen davon, dass die norwegische Flotte eine ihrer fünf Fregatten verlor, ging der Unfall somit glimpflich aus.
Aufgabe einer Havariekommission ist nicht, Schuldige zu suchen, sondern aus Unfällen zu lernen, damit sie zukünftig vermieden werden. Von den 15 Sicherheitsempfehlungen gingen aber allein neun an die Marine und eine an das Verteidigungsministerium. Denn die Erklärung dafür, warum bei sieben Personen auf der Brücke der Fregatte niemand den Tanker rechtzeitig wahrnahm, war schlicht: Es guckte offenbar niemand genau genug auf das Radar – obwohl die Helge Ingstad im passiven Modus unterwegs war und man sich also nicht darauf verlassen konnte, dass die anderen sich schon sehen würden.
Folgenreicher Seh- und Denkfehler
Die Ermittler zeichneten detailliert nach, was sich in der schicksalsträchtigen Nacht auf der Brücke abgespielt hatte. Von den sieben auf der Brücke befanden sich zwei noch in Ausbildung, in der Funktion des Wachchefs und dessen Assistenz. Es fanden mehrere Wachwechsel statt, außerdem gingen Leute abwechselnd essen. Der diensthabende Wachoffizier hatte das leuchtende Objekt nicht als fahrendes Schiff identifiziert, sondern hielt es für ein stillliegendes Objekt – wie sein Vorgänger, den er gerade abgelöst hatte. Da hatte das Schiff auch tatsächlich noch am Kai gelegen.
Dass der Tanker ablegte, wurde nicht wahrgenommen, es war auch anfangs sehr langsam. Da sich der Wachoffizier seiner Sache aber sicher war, warf er keinen genaueren Blick auf das Radar. Die entgegenkommenden Schiffe wurden auf den System der Brücke verfolgt, inklusive Kollisionsalarm, nicht aber der Tanker. Und als die Verkehrsleitzentrale ihn aufforderte, nach Steuerbord auszuweichen, folgte er dem nicht – weil er eine Kollision mit dem Objekt befürchtete, das er für stillliegend hielt.
Zu den Empfehlungen der Havariekommission gehört, dass die Seestreitkräfte (Sjøforsvaret) ihre Beförderungspraxis überarbeiten möge. Denn aus Personalmangel waren die Anforderungen für die Position des Wachoffiziers gesenkt worden, und in diesem Fall handelte es sich um eine Person mit vergleichsweise wenig Erfahrung. Jemand mit mehr Erfahrung, so die Folgerung der Ermittler, wäre in der Situation schneller in der Lage gewesen, den richtigen Sachverhalt zu erkennen und einen Unfall zu verhindern. Kritisiert wurde aber auch die zusätzliche Belastung durch die Ausbildungssituation, die Aufmerksamkeit vom Verkehr abzog.
Fehler in der Verkehrzentrale
Zur Unaufmerksamkeit und Fehlinterpretation auf der Fregatte kam dann noch Nachlässigkeit in der Verkehrszentrale, die den Hjeltefjorden überwacht. Dort hatte sich die KNM Helge Ingstad ordungsgemäß angemeldet. Da die Fregatte aber ihr AIS auf passiv gestellt hatte, hätte das Überwachungspersonal mitplotten müssen. Das wurde jedoch versäumt. Als die TS Sola nach dem Schiff ohne AIS fragte, hatte man die Fregatte zunächst gar nicht mehr auf Rechnung. Dadurch ging wertvolle Zeit verloren.
Die Havariekommission merkte an, dass Fahrten ohne AIS bei der Marine zur Regel geworden seien, ohne dass entsprechend zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen eingeführt worden seien. Sie verwies auch darauf, dass es die Möglichkeit gebe, verschlüsselte Signale zu senden, sodass zumindest die Verkehrszentralen besser informiert seien.
Zu den Empfehlungen gehörten auch schärfere medizinische Tests bei der Marine (Personen mit Sehfehler auf der Brücke), mehr Bewusstsein dafür, dass Deckbeleuchtung die Positionslichter überstrahlen kann (TS Sola) und ein neues Rollenverständnis von Lotsen (bessere Kommunikation des Lotsen auf der TS Sola hätte möglicherweise ein größeres Zeitfenster für Reaktionen geschaffen). Veränderungen bei der Marine sind bereits angekündigt: „Das Unglück wird die Marine verändern“ zitiert NRK einen Vertreter von Sjøforsvaret.
Ein weitere Teil des Berichts folgt noch. Bei der ersten Untersuchung waren auch Konstruktionsmängel festgestellt worden. Inzwischen ist alle Ausrüstung ausgebaut, die Fregatte soll verschrottet werden. Eine Reparatur käme teurer als ein neues Schiff.
Der Bericht auf Norwegisch und Englisch sowie eine Animation auf Norwegisch lassen sich hier ansehen/herunterladen: Statens Havarikommisjon for Transport
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