Sápmi. Schon wieder gibt es Meldungen darüber, wie schwierig die Nahrungssituation in diesem Winter für Rentiere ist. Ein sich veränderndes Klima und weniger räumliche Möglichkeiten erschweren es den eigentlich perfekt an Kälte angepassten Tieren, selbst Futter zu suchen. Immer häufiger wird zugefüttert. Was macht das mit den Rentieren? Dazu liegen nun erste Forschungsergebnisse vor: Das Rentier könnte zum Haustier werden.
Die Rentiere der Samen brauchen den Menschen nicht unbedingt. Ihre wildlebenden Artgenossen und die Verwandten auf dem amerikanischen Kontinent kommen auch ohne Menschen zurecht. In einer Futterkrise, aus welchem Grund auch immer, verhungern wilde Tiere allerdings im Winter und sind dann Futter für andere. Rentierhalter versuchen das so weit wie möglich zu verhindern.
Der häufigste Grund für Zufütterung in Norwegen, Schweden und Finnland ist heute eine ungünstige Eis- und Schneesituation im Winter. Rentiere graben sich normalerweise mit ihren Hufen durch den Schnee bis zum Boden. Ist der Schnee zu tief, oder sind zu dicke Eisschichten dazwischen, ist dies nicht mehr möglich. Letzteres kommt zunehmend häufiger vor, wenn Tauwetter und Frostphasen sich ablösen.
Dann hilft in der Natur nur noch ein Ortswechsel. BBC berichtete jüngst über 8000 Rentiere aus Nordschweden und Finnland, die sich auf Nahrungssuche zu weit verstreut haben. Sameradion hat einen Beitrag über einen Rentierhalter aus Jokkmokk, der seine Tiere jetzt in den zugefrorenen Schärengarten von Luleå getrieben hat, weil die Inselvegetation weniger vereist ist als im Inland. Winterfütterung war auch ein Thema in einer Dokumentation bei SVT.
Andere Gründe für Zufütterung können sein, dass Flächen nicht mehr genug Nahrung hergeben, zum Beispiel nach einer Abholzaktion, dass man sie inzwischen anders nutzt oder dass die Rentiere vor Raubtieren in einer speziellen Region geschützt werden sollen.
Erfahrungen von Rentierhaltern aus Norwegen, Schweden und Finnland
2018 fand in Kiruna ein von mehreren Instituten finanzierter und begleiteter Workshop mit Rentierhaltern aus allen drei Ländern statt, in dem sie ihre Erfahrungen und Beobachtungen austauschen konnten. Die Auswertung ist vor einem Jahr erschienen. Gerade ist auch eine Doktorarbeit in Zusammenhang fertiggestellt worden. Das Fazit ist, dass Zufütterung ein Notbehelf bleiben sollte und negative Auswirkungen auf die Rentiere hat:
- Zufütterung passt nicht richtig zum Biorhythmus und Verdauungssystem der Rentiere. Es ist auch noch nicht das optimale Futter dafür gefunden. Sie verlieren außerdem die erworbenen Kenntnisse über das Revier, wenn sie ihr Futter nicht mehr selbst suchen müssen.
- Sie gewöhnen sich mehr an Menschen und werden zum „Haustier“.
- Der längere Aufenthalt an einem Ort und enger mit anderen Rentieren zusammen als natürlicherweise befördert außerdem Krankheiten und kann den Boden schädigen.
Auch die Halter verlieren Kenntnisse und Fertigkeiten, wenn sie nicht mehr gemeinsam nach den besten Möglichkeiten suchen, sondern einfach Heu hinwerfen. Das hat Folgen für die Sozialstruktur der Gemeinschaften.
Zum Thema:
- Auswertung des Workshops in Kiruna: Supplementary Feeding in Reindeer Husbandry. results from a workshop with reindeer herders and researchers from Norway, Sweden and Finland.
- Pressemitteilung zur Doktorarbeit von Majken Paulsen, Nord Universitet, Bodø
Frühere Artikel zum Thema:
- 200 tote Rentiere auf Spitzbergen – verhungert wegen Klimawandel
- Die doppelte Krise: hungrige Rentiere und Corona
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Hintergrund zu Rentieren