Grönland. Von 1992 bis 2018 hat der grönlandische Eispanzer 3800 Milliarden Tonnen Eis verloren. Das allein hat den Meeresspiegel um gut einen Zentimeter ansteigen lassen. Zu diesem Ergebnis kommt eine gerade in Nature veröffentlichte Studie, zu der rund 90 internationale Wissenschaftler beigetragen haben. Festgestellt haben sie auch, dass das Inlandeis inzwischen sieben Mal so schnell schmilzt wie in den 1990ern.
Das Eis verschwindet auf zwei Wegen, die ungefähr gleich viel ausmachen: durch das Kalben der Gletscher ins Meer und durch Schmelzwasser. Für die Studie wurden die Ergebnisse aus 26 verschiedenen Untersuchungen im Rahmen der IMBIE ( ice sheet mass balance inter-comparison exercise) kombiniert. Messungen aus elf verschiedene Satellitenmissionen von NASA und ESA wurden ausgewertet, um Veränderungen am Eispanzer auf die Spur zu kommen. Geleitet wurde die Studie von Andrew Shepherd von der Universität Leeds und Erik Ivins vom Jet Propulsion Laboratory der NASA in Kalifornien.
Diese Schmelzprozesse hängen von vielen Faktoren ab und haben bekanntlich global Folgen. Das Ansteigen des Meeresspiegels ist ein zentraler Teil jedes Klimaberichts, schließlich leben in den Küstenregionen besonders viele Menschen. Als Faustregel gelte: Pro Zentimeter Meerwasseranstieg sind sechs Millionen Menschen mehr von Überflutungen betroffen, so Shepherd in der Pressemitteilung. Verglichen mit der IPCC-Prognose von 2013 liegt die Realität im oberen Bereich, nahe an der pessimistischen Variante.
Das Rätsel um Jakobshavn Isbræ
Dass es bei der Erfassung des Prozesses immer noch viele Unbekannte gibt, zeigt die Untersuchung ebenfalls: Fast die Hälfte der Verluste entstand allein zwischen 2006 und 2012, der Höhepunkt war 2011 mit 335 Millionen Tonnen. Dazu trug unter anderen Jakobshavn Isbræ bei, grönländisch Sermeq Kujalleq – er speist den Welterbe-Fjord bei Ilulissat mit den malerischen Eisbergen. Die Fließgeschwindigkeit dieses Gletschers hatte hatte seit Anfang der 2000er Jahre enorm zugelegt, vermutlich, weil er sein Schelfeis verloren hatte.
Zur Verblüffung der Wissenschaftler änderte sich das plötzlich nach 2016. Er floss nun langsamer, wurde wieder dicker, die Front zog sich nicht weiter zurück. Als Ursache dafür galt schnell die Abkühlung des Fjordwassers um mehr als ein Grad. Dafür, so entlarvten schließlich Forscher der NASA, war das Phänomen der Nordatlantischen Oszillation verantwortlich. Dabei handelt es sich um Schwankungen im Druckverhältnis zwischen Islandtief und Azorenhoch, die in Zyklen zwischen fünf und 20 Jahren ablaufen. Der Wechsel sorgte für kühleres Wasser, das 2016 den Fjord und Jakobshavn Isbræ erreichte.
Das gesamte Inlandeis verliert trotzdem in hohem Maße und viel mehr als früher. Der Schneefall im Winter ersetzt nicht das, was im Sommer verloren geht. Und wenn die Oszillation ihren Schwerpunkt wieder wechselt, könnte es auch bei Grönlands bekanntestem Gletscher wieder schneller gehen.
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