Schwedens Altenheime in der ersten Welle: Mangelhaft

Schweden. Die zweite Corona-Welle ist in Schweden immer noch hoch. Es ist aktuell nicht abzusehen, ob der „verlangsamte Anstieg“ vergangene Woche der Beginn einer Trendwende ist oder Zufall. Bei vielen kommt die Erinnerung an das Frühjahr wieder hoch. Die Aufsichtsbehörde für den Pflegebereich stellte außerdem gestern ihren Abschlussbericht zur ersten Welle in den Altenheimen vor: Dieser fiel vernichtend aus.

Handsprit

Im Frühjahr war Schutzausrüstung gegen Coronaviren stellenweise Mangelware.

Eine Überraschung ist der Bericht nicht, denn es hatte bereits im Frühjahr Beschwerden von Angehörigen und später viele Medienberichte dazu gegeben. Etwa die Hälfte der im Frühjahr mit Covid-19 Verstorbenen lebte im Altenheim, rund 2800 Personen. Ein weiteres Viertel lebte zwar zuhause, war aber auf ambulante Hilfen angewiesen. Covid-19 hatte die Mängel in der schwedischen Altenpflege deutlich gemacht, die es vorher schon gab – zu wenig und schlecht ausgebildetes Personal. Dazu kam im Frühjahr die große Virusverbreitung bei fehlender Schutzausrüstung.

Viele Altenheime zu schlecht – selbst für eine Pandemie

Die Aufsichtsbehörde (IVO, Inspektionen för vård och omsorg) bemängelte nun vor allem den Umgang mit diesen gebrechlichsten aller Erkrankten. Größter Kritikpunkt ist, dass etwa 16-22 Prozent nicht die individuelle ärztliche Beurteilung erhielten, die eigentlich vorgeschrieben ist, und dass der Übergang von der therapeutischen zur palliativen Behandlung in vielen Fällen nicht den geltenden Regeln folgte. Die Qualität der Versorgung sei zu niedrig – selbst für eine Pandemie, so IVO-Generaldirektorin Sofia Wallström bei der Pressekonferenz. IVO hatte 847 Fälle in 98 Seniorenheimen anhand der Patientendokumentation untersucht. Dazu waren 300 medizinisch verantwortliche Pflegekräfte befragt worden. Die Fälle verteilen sich über alle Regionen mit Ausnahme von Gotland – dort gab es im Frühjahr nur eine geringe Virusverbreitung.

Die Gesundheitsbehörde hat die zweite Welle unterschätzt

Sämtliche schwedischen Regionen haben inzwischen die neuen lokalen Regeln eingeführt, die einem Lockdown light ähneln: Man möge möglichst niemanden mehr treffen außer denen, mit denen man zusammenwohnt, und sich auch so wenig wie möglich in anderen Innenräumen aufhalten als den eigenen. Seit gestern gilt außerdem die neue Obergrenze für öffentliche Versammlungen von acht Personen – nur zu Beerdigungen sind 20 zugelassen. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar, ob sich die Dynamik abschwächt oder nicht. Die 14-Tage-Inzidenz liegt nun bei 611 pro 100 000 Einwohner. Klar ist aber bereits, dass die Gesundheitsbehörde die zweite Welle wie die erste zu spät erkannt und auch unterschätzt hat. Die Zahlen haben auch die pessimistischen Szenarien längst überholt. „Nach der Prognose von Folkhälsomyndigheten haben wir einen Hügel erwartet, aber es sieht aus, als seien wir auf dem Weg zu einem Kebnekaise“ , so eine Chefärztin in Stockholm zu SVT.

Herdenimmunität nicht in Sicht

Dass Stockholm schon im Frühjahr so hart getroffen war, hat bisher auch keinen Vorteil gebracht, denn die Stadt hat erneut sehr viele Fälle. „Wir sehen keine Anzeichen dafür, dass wir eine Immunität in der Bevölkerung haben, die die Ansteckungen bremst“, so Staatsepidemiologe Anders Tegnell gestern in der Pressekonferenz. In den Krankenhäusern und auf den Intensivstationen kommt diese Welle außerdem erfahrungsgemäß zeitversetzt an – und langsam wird es dort wieder voller. Gestern waren insgesamt 193 Personen mit Covid-19 in der Intensivstation. Im April waren es bis zu 558. 

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