Rezension: „Vorfahrt für Rentiere“ von Tilmann Bünz

Das Wort „Lappland“ ruft viele unterschiedliche Assoziationen hervor. Die einen sehen Mitternachtssonne oder Nordlicht vor sich, die anderen das Geld der Touristen, Historiker setzen zu einem längeren Vortrag an und Samen verweisen darauf, dass es das falsche Wort ist. Diejenigen, die dort neue Windparks oder Fabriken ansiedeln wollen, benutzen es lieber nicht, „damit keiner auf den Gedanken kommt, das Land gehöre etwa denen, die dort seit jeher wohnen“, wie es Tilmann Bünz ausdrückt. Bünz nimmt die Leser in „Vorfahrt für Rentiere“ durch alle Arten von Lappland mit. Das Buch ist ab heute erhältlich.

Cover von Vorfahrt für Rentiere

Tilmann Bünz: Vorfahrt für Rentiere

Dass Tilmann Bünz mal Skandinavienkorrespondent der ARD war, war nur der Anfang. Das Interesse für den Norden ist geblieben, und er hat einige Filme und Bücher darüber produziert. Als Leser profitieren wir von dieser langjährigen Erfahrung und den Kontakten zu Menschen vor Ort, die er gesucht und gehalten hat, so wie zu Victoria Harnesk. Es ist eine große Stärke dieses Buchs, dass so viele Menschen aus der Region selbst zu Wort kommen:  traditionelle Rentierhalter-Samen, Grubenarbeiter aus Kiruna, Hundeschlittenführerinnen, die Schriftstellerin Åsa Larsson, eine Teilnehmerin des Widerstands gegen den Dammbau in Alta in den 1980er Jahren, samische Juristinnen, Künstler und Politikerinnen und noch ganz viele andere.

Gleichzeitig erleben wir die Vielfalt der acht Jahreszeiten, wir bewegen uns auf Skiern durchs Fjäll, fahren mit der Inlandsbahn, wandern durch einen finnischen Wald oder rasen auf einem Schneemobil durch die Finnmark. Auch beim Schreiben ist Bünz ein Filmemacher und erschafft die Bilder in unserem Kopf. Rentiere kommen übrigens ziemlich viele vor, wie auch in der Realität in Lappland/Sápmi, und sind zu Recht im Titel verewigt.

Nordlichter und Nordlichttourismus

Selbstverständlich geht es auch um den Zauber der Nordlichter,  warum man sie manchmal nicht sieht und wie es dann ist, wenn man endlich eins zu sehen bekommt.  Tilmann Bünz lässt uns aber auch hinter die Kulissen blicken: Wie kam es überhaupt zu diesem Nordlichttourismus? Denn der ist ein relativ junges Phänomen – den Einheimischen wurde erst langsam klar, dass diese Erfahrung für andere etwas Besonderes ist.

Keine Scheu vor den schwierigen Fragen

Bünz greift aber auch die weniger marketingfreundlichen Fragen auf, die sich früher oder später stellen: Wie funktioniert das nun mit der Koexistenz von Rentierhaltung, Tourismus und Bergbau – und mit der Koexistenz von Samen und Nicht-Samen? Eine Tour nach Kokelv an der Finnmark-Küste widmet sich noch einer anderen unangenehmen Geschichte, nämlich der der deutschen Besatzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg, der Zerstörung, die sie beim Rückzug in Nordnorwegen hinterließen  – und einem ganz privaten Wiedergutmachungsprojekt.

Vielfältiger Einblick in das Leben nördlich des Polarkreises

Mit „Vorfahrt für Rentiere“ ermöglicht Tilmann Bünz einen vielfältigen Einblick in das Leben nördlich des Polarkreises. Der Untertitel „Lappland für Anfänger“ ist tiefgestapelt: Man kommt weit über die Grundkenntnisse hinaus. Ein umfangreiches Glossar beantwortet dann auch noch (fast) alle Fragen, die möglicherweise zum Thema Samen und Sápmi noch geblieben sind. Ein nützliches Buch für jeden, der ein bisschen mehr wissen will – und außerdem lebendig und unterhaltsam geschrieben, sodass die Lektüre schon eine Art Reise ist.

„Vorfahrt für Rentiere“ von Tilmann Bünz erscheint heute bei btb Taschenbuch (Verlagsgruppe Penguin Random House) und ist ab sofort im Handel erhältlich. Der Autor wird auch auf der Leipziger Buchmesse lesen, am 21.3. von 20-21 Uhr.

 

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