Rezension: Zwischen ewigem Sommer und tiefster Nacht

Als Bernadette Olderdissen Anfang Januar 2022 in Båtskärsnäs ankommt, geht erst einmal die Wasserleitung kaputt. Und dem Auto gefällt der nordschwedische Winter nicht. Das stellt die Geduld der Hamburgerin, die aufgebrochen ist, um einen vollen Jahreskreislauf in Schwedisch Lappland mitzuerleben, zunächst gewaltig auf die Probe. Und es ist die erste Lektion, die sie lernt: Abwarten, die Dinge nehmen wie sie sind. Den Takt runterschalten.

Zwischen ewigem Sommer und tiefster Nacht

Bernadette Olderdissen: Zwischen ewigem Sommer und tiefster Nacht

Um diesen Takt geht es immer wieder in „Zwischen ewigem Sommer und tiefster Nacht“ – wie ich die acht Jahreszeiten in Schwedens Norden erlebte“. Es war der Anlass des Experiments: Leben im Takt der Natur statt im Takt der Stadt. Diese acht Jahreszeiten orientieren sich an der samischen Zählweise, wie auch die samische Kultur für Bernadette Olderdissen von besonderem Interesse sind. Eine viertägige Pressereise im Herbst nach Nordschweden hatte sie neugierig gemacht und nicht wieder losgelassen.

Und so landet sie in Båtskärsnäs, auch Baskeri genannt, mit rund 200 Einwohnern, einem Teil der Kommune Kalix am nördlichen Ende der Ostsee. Im echten Winter mit Eis, Schnee und Polarlichtern, der Stück für Stück und vielleicht ein bisschen zu schnell dem Sommer mit seinem Rund-um-die-Uhr-Licht weicht. Es folgt der freigiebige Herbst, der die Schätze der Natur mit jedem teilt, der bereit ist, sie zu sammeln. Bis das Eis sich wieder legt, der Schnee kommt, der Kreis sich schließt.

Acht Jahreszeiten

Das ist natürlich nur der grobe Überblick. Der samische Kalender kennt acht Jahreszeiten, und das ist dem, was passiert, auch absolut angemessen. Die Tageslichtverhältnisse, die Temperatur und die Natur verändern sich im Laufe des Jahres extrem. In der samischen Kultur gehört dazu auch der Rhythmus des Rentieres, dessen Lebensweise sie bestimmt. Immer wieder kehrt Olderdissen zu diesem Takt der Natur zurück, der gar nicht immer so langsam ist, wie es anfangs schien. Im Sommer passiert schließlich ganz viel auf einmal.

Ein Jahr ist nicht genug

Für Bernadette Olderdissen hat ein Jahr letztlich nicht gereicht: Sie engagiert sich auch zukünftig in Kalix, auf neue Weise. Wer könnte das besser nachvollziehen als ich? Die Entwicklung von polarkreisportal.de ist untrennbar mit der Idee verbunden, für ein Jahr nach Nordschweden zu gehen (der erste Winter siehe hier). Mir hat es auch nicht gereicht. Ich kam mit anderen Voraussetzungen, in eine andere Umgebung (Luleå), mit anderen Schwerpunkten und Zielen. Aber ich finde ihre Schilderung der Jahreszeiten sprachlich wie inhaltlich außerordentlich gelungen. Das Buch ist geschrieben unter dem Zauber des Neuen. Es ist außerdem eine persönliche Geschichte über die teilweise sehr körperliche Auseinandersetzung mit der Natur. Das ist das, was das Buch gut und stark macht.

Es gibt nicht nur eine Seite

Selbstverständlich ist nicht alles falu-rot und idyllisch in Nordschweden. Das weiß auch Bernadette Olderdissen und spricht unter anderem Klimawandel, die Grube in Kallak und den an die Energieerzeugung verlorenen Wasserfall Stora Sjöfallet an. „Wie so oft ist mir bewusst, dass nicht nur eine Seite existiert“, schreibt sie über den Wasserfall.

Für die, die dann tiefer einsteigen wollen und weitere Perspektiven suchen, sei beispielsweise Ann-Helen Laestadius‘ „Das Leuchten der Rentiere“ empfohlen. Oder Hannah Ambühls Film „Älven, min vän„.  Und natürlich dieses Portal.

Bernadette Olderdissen ist Reisejournalistin und Schriftstellerin.  „Zwischen ewigem Sommer und tiefster Nacht. Wie ich die acht Jahreszeiten in Schwedens Norden erlebte“ ist im Piper Verlag erschienen.

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