Bald Zweiklassengesellschaft in Longyearbyen?

Longyearbyen/Spitzbergen (Norwegen). Wie viel Demokratie braucht Longyearbyen – und wie passt das mit der norwegischen Spitzbergen-Politik zusammen? Die norwegische Regierung hat einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der das lokale Wahlrecht in Longyearbyen für Ausländer massiv einschränkt. Denn inzwischen gebe es zu viele Ausländer ohne Anknüpfung an Norwegen auf Spitzbergen.

Spitzbergen

Longyearbyen, Spitzbergen. Foto: Thomas Christiansen.

Spitzbergen ist in vieler Hinsicht kein normaler Teil des norwegischen Territoriums. Vor dem Spitzbergenvertrag  (Svalbardtraktat) 1920 war die Inselgruppe staatenlos und wurde von viele Akteuren wirtschaftlich genutzt – vom Walfang bis zum Kohleabbau. Die Inselgruppe wurde Norwegen 1920 zugesprochen, allerdings mit einer Besonderheit: Bürger der Unterzeichnerstaaten des Spitzbergenvertrags sollten die Inselgruppe gleichberechtigt nutzen können. Dies nutzt vor allem Russland mit dem Bergbau in Barentsburg. Auch Norwegen betrieb auf Spitzbergen jahrzehntelang Bergbau. Der Sysselmann – ab 1. Juli heißt der Titel Sysselmester – untersteht dem Justizministerium und achtet sowohl auf die Einhaltung der norwegischen Gesetze als auch auf die korrekte Anwendung des Spitzbergenvertrags. Wer als Ausländer in Longyearbyen leben will, braucht keine norwegische Aufenthaltsgenehmigung, muss sich allerdings selbst versorgen können. Wer nicht bei einer norwegischen Firma arbeitet, hat kein Recht auf Sozialleistungen. Da die auf Spitzbergen gezahlten Steuern vor Ort bleiben müssen, sind sie niedriger als auf dem Festland. Der Aufenthalt auf Spitzbergen zählt nicht, wenn man die norwegische Staatsbürgerschaft erwerben will.

Von der Company Town bis zur lokalen Demokratie

Bis 2001 gab es keine lokale Mitbestimmung in Longyearbyen. Der Ort galt als Gelände der staatlichen Bergbauforma Store Norske. Dann wurde das kommuneähnliche Gremium Longyearbyen Lokalstyre eingerichtet. Nicht-nordische Ausländer haben aktuell nach drei Jahren das aktive und passive lokale Wahlrecht, analog dem Stimmrecht bei norwegischen Kommunewahlen auf dem Festland. In dem 15-köpfigen Gremium  sitzt als einzige Ausländerin zurzeit eine Schwedin, die seit neun Jahren auf Spitzbergen lebt und mit einem Norweger verheiratet ist, wie NRK berichtet.

Die norwegische Regierung möchte dieses lokale Wahlrecht nun einschränken: Nur diejenigen Ausländer sollen in Longyearbyen das Wahlrecht haben, die zuvor bereits drei Jahre auf dem norwegischen Festland gelebt haben. Das trifft für viele langjährige Bewohner Longyearbyens nicht zu.

Zu wenig Anknüpfung an Norwegen

Seilbahn Kohle Spitzbergen

Historische Seilbahn für den Kohletransport, Longyearbyen, Spitzbergen. Foto: Marius Fiskum / www.fototopia.no

Die Regierung begründet ihren Vorstoß genau damit: Dass immer mehr Ausländer nach Longyearbyen ziehen, ohne eine Anknüpfung an Norwegen zu haben. Longyearbyen Lokalstyre soll aber die Interessen der lokalen Gemeinschaft „im Rahmen der norwegischen Svalbardpolitik“ umsetzen. Außerdem bezuschusst der norwegische Staat die Infrastruktur in Longyearbyen. Von den rund 2500 Einwohnern haben etwa 900 nicht die norwegische Staatsbürgerschaft.

Das hat auch damit zu tun, dass der norwegische Bergbau dort weder wirtschaftlich noch länger politisch gewollt ist. Immer weniger Leute verdienen damit ihr Geld, die alte Svea-Grube wird zurückgebaut. Sobald es einen Ersatz für das alte Kohlekraftwerk gibt, das zurzeit in Longyearbyen noch für Strom und Wärme sorgt, werden auch diese Arbeitsplätze verschwinden. Bis die Covid-19-Pandemie kam, gab es dafür Jobs im Tourismus – und auch viele Ausländer arbeiten in dem Bereich und gründeten sogar Unternehmen.

Zukünftig Zweiklassengesellschaft?

In Longyearbyen fürchten viele die Zweiklassengesellschaft, wenn der Vorschlag durchkommt, und lehnen ihn ab. „Der Entzug des Wahlrechts und der Wählbarkeit auf kommunaler Ebene für Menschen, die teilweise viele Jahre im betreffenden Ort gelebt haben, wirkt politisch sehr unappetitlich und im Kontext einer westlichen Demokratie des 21. Jahrhundert völlig fehl am Platz“, schreibt der deutsche Autor und Spitzbergen-Tourguide Rolf Stange auf seiner Internetseite. Bis zum 25. Oktober müssen die Einwände und Stellungnahme dazu eingegangen sein.

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