Norwegen. Jovsset Ánte Sara, 25, muss die Hälfte seiner 150 Rentiere schlachten lassen. Das norwegische Rentiergesetz gestattet ihm nur die Haltung von 75 Tieren. Mit seinem Protest verlor er nun vor dem höchsten norwegischen Gericht. Darüber berichtete NRK.
Der junge samische Rentierhalter hatte argumentiert, von 75 Rentieren könne man nicht leben. Die Beschränkung verstoße gegen seine zivilen und politischen Rechte als Angehöriger einer Minderheit laut Menschenrechtskonvention und gegen seine Eigentumsrechte. Vor dem Amtsgericht Indre Finnmark und auch in der nächsthöheren Instanz hatte er jeweils gewonnen. Doch der norwegische Staat hatte die Urteile angefochten. In den vergangenen Wochen war nun vor dem höchsten Gericht, Høyesterett, darüber verhandelt worden. Diesmal verlor er und muss nun der Aufforderung nachkommen, seine Herde zu reduzieren.
Das Landwirtschaftsministerium vertritt die Auffassung, dass alle Rentierhalter die Zahl ihrer Tiere beschränken müssen, um als Gruppe von dem Gewerbe leben zu können. Denn die Größe der Weideflächen und damit die Möglichkeit, die Tiere zu ernähren, sei begrenzt. Das Gerichtsurteil bestätige, dass das Gesetz und die Politik, die eine ökologisch nachhaltige Rentierhaltung sichern soll, nicht gegen das Völkerrecht verstoße, äußerte sich der zuständige Minister Jon Georg Dale zufrieden in einer Pressemitteilung.
Angriff auf die samische Selbstverwaltung?
Die samische Perspektive ist jedoch, dass diese Frage von der zuständigen Selbstverwaltung geklärt werden sollte. Eine Beschränkung der Tierhalter durch den Staat wird als Angriff auf ihre Kultur verstanden. Jovsset Ánte Saras Anwalt wird von NRK mit dem Kommentar zitiert: „Ich dachte wirklich, dass wir schon weiter wären. Das Höchste Gericht scheint den Samen nicht zuzutrauen, über ihre eigenen Angelegenheiten zu entscheiden.“
Die norwegische Sametings-Präsidentin Aili Keskitalo äußerte in einer Pressemitteilung große Enttäuschung über das Urteil. „Jovsset Ante ist ein junger Familienvater, der seit mehreren Jahren für sein Recht kämpfen muss, von der Rentierhaltung zu leben“, so Keskitalo. Es habe sie sehr bewegt, ihn im Gerichtssaal zu sehen, jung, aufrecht und mit Hoffnung für die Zukunft, aber gleichzeitig einem Rechtssystem preisgegeben, das auf dem Rechtsverständnis anderer aufbaut.“ Das Gesetz zur Rentierhaltung müsse überarbeitet werden.
Der Gerichtsprozess war von medialer Aufmerksamkeit begleitet worden. Dazu trug auch bei, dass die Schwester des jungen Mannes vor dem Gebäude mit einer Installation aus 400 Rentierschädeln demonstrierte, um ihn zu unterstützen.
In seinem Kommentar „Wir müssen über Rudolf reden“ stützte Aftenposten-Kommentator Joacim Lund trotzdem die Auffassung des Staates und stellte den Tierschutzaspekt in den Vordergrund. Weil es zu viele Rene gebe, seien einige einfach unterernährt. Der Erhalt der samischen Kultur sei wichtig, aber dafür sollten nicht die Tiere leiden müssen.
Viele Störfaktoren
Zum Gesamtbild gehört natürlich auch, und darauf weist auch Lund selbst hin, dass es eben nicht mehr nur die Rentierhalter sind, die in Nordnorwegen unterwegs sind. Gruben werden eröffnet, Siedlungen erweitert, neue Verkehrswege geschaffen. Früher wurden Stauseen angelegt, heute sollen Windparks die Energie liefern. Immer mehr Weidefläche geht für die Tiere verloren. Diese Entwicklung betrifft ganz Sápmi. Dazu kommen Probleme durch die Klimaveränderung: Wie das norwegische Forschungsinstitut Cicero hier aufzeichnet, bilden sich beispielsweise durch wechselnde Tau- und Frostperioden im Winter Eisschichten, die verhindern, dass die Rene unter dem Schnee nach Flechten graben können. Die Folge ist Unterernährung.
Mehr zum Thema unter Sápmi – das Land der Samen und Rentiere.