Spitzbergen (Norwegen). Das arktische Meereis geht auf sein jährliches Maximum zu – und rund um Spitzbergen ist so wenig wie selten. Bleibt dieser Trend, werden die Eisbären von Spitzbergen nach Franz-Josef-Land abwandern, vermutet Eisbärenforscher Jon Aars gegenüber dem Barents Observer.
Jon Aars ist Eisbärenforscher am norwegischen Polarinstitut mit Hauptsitz in Tromsø. Das Institut überwacht die Bewegungen von Eisbären seit 1987. „Wenn jemand vor 20 Jahren gesagt hätte, dass die gesamte Nordküste Spitzbergens 2023 mitten im Winter eisfrei ist, hätte niemand das geglaubt“, so Aars zum Barents Observer. Wenn man jedoch die jüngsten fünf Jahre ansehe, könne dieser eisfreie Zustand das neue Normal werden.
Die Eiskarte zeigt nur im Osten der Inselgruppe überhaupt nennenswertes Meereis. Es gibt jedoch keine halbwegs zusammenhängende Fläche Richtung Franz-Josef Land. Das war im vergangenen Jahr um diese Zeit noch anders. Laut dem norwegischen Eisdienst liegt die Eisfläche rund um Spitzbergen mehr als 100 000 Quadratkilometer unter dem Durchschnittswert – dem „neuen Normal“ aus der Periode 1990-2020.
Eisbärenpopulation der Barentssee
Zur Eisbärenpopulation der Barentssee, die sich zwischen Spitzbergen, Franz-Josef-Land und Nowaja Semlja bewegt, gehören etwa 3000 Exemplare. Einige sind sehr ortstreu, bleiben beispielsweise immer auf Spitzbergen, und die Bärinnen nutzen auch immer ähnliche Plätze, um ihre Jungen zu gebären. Andere folgen im Sommer dem Eis, um bessere Chancen auf Robben zu haben. Trächtige Bärinnen suchen sich im Herbst allerdings eine Schneehöhle an Land für die Geburt.
Bessere Chancen für Eisbären auf Franz-Josef-Land
Ohne Meereis ist der Weg nach Spitzbergen mühsam. Die russische Inselgruppe Franz-Josef-Land liegt noch etwas östlicher und nördlicher und hat noch mehr Eis. Nach den Beobachtungen von Aars und seinen russischen Kollegen kommt nun mehr Eisbärennachwuchs auf Franz-Josef-Land zur Welt. Aars ist nicht optimistisch, was die Zukunft von Eisbären auf Spitzbergen betrifft: „Ich meine, es ist etwas schwer, sich vorzustellen, dass wir noch Eisbären haben, wenn es überhaupt kein Meereis mehr gibt“, zitiert ihn der Barents Observer.
Keine Inseln mehr nördlich von Franz-Josef-Land
In einem Artikel auf der Website des Instituts schrieb Aars schon vor drei Jahren zur Zukunft der Barentssee-Eisbären: „Franz-Josef-Land ist heute so, wie Spitzbergen vor 20-30 Jahren war. Aber in den vergangenen Jahren haben sich auch die Meereisverhältnisse bei Franz-Josef-Land verändert. Wenn das sich fortsetzt, kann es passieren, dass der Barentssee-Bestand in ein paar Jahrzehnten vor großen Herausforderungen steht. Wenn die Eisbärinnen es nicht mehr schaffen, zu den Inseln von Franz-Josef-Land zu kommen, gibt es keine gute Alternative mehr. Es gibt weiter nördlich keine Inseln mehr.“
Früherer Artikel zum Thema:
Neue Studie: Weniger Eis, weniger genetische Vielfalt bei Eisbären