Grönland. Ein internationales Forscherteam hat im Sommer Narwale vor Ostgrönland mit Instrumenten bestückt – und eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Flieht der Narwal unter menschengemachtem Stress, reagiert sein Organismus mit zwei gegensätzlichen Reflexen, die seine Gesundheit in Gefahr bringen können.
Ein Artikel dazu hat das Team aus Dänemark, Grönland und den USA jetzt in Science veröffentlicht. Das naturhistorische Museum der Universität Kopenhagen hat außerdem eine Pressemitteilung dazu herausgegeben.
Fünf Narwale hatte das Team mit Hilfe Einheimischer im Scoresby Sound in Ostgrönland gefangen und mit Instrumenten bestückt, die mit Saugnäpfen auf den Tieren befestigt wurden. Diese zeichneten Herzfrequenz, Position und Schwimmaktivität auf. Die wasserfeste Kapsel fiel nach drei Tagen ab und konnte geortet und eingesammelt werden.
Nachdem die Wale wieder entlassen wurden und zum ersten Mal abtauchten, so berichten die dänischen Forscher Mads Peter Heide-Jørgensen und Mikkel Holger Strander Sinding, sei ihre Herzfrequenz auf drei bis vier Schläge pro Minute gefallen. Dies entspreche einem normalen Tauchgang unter ruhigen Umständen. Gleichzeitig hätten sie dabei aber eine Fluchtreaktion mit kräftigen Schwimmbewegungen gezeigt.
Heide-Jørgensen, Professor an der Universität Kopenhagen und an Grönlands Naturinstitut, zieht daraus den Schluss, dass die Wale in Stresssituationen in einen physiologischen Konflikt kommen: Zum einen der bekannte Tauchreflex mit herabgesetztem Herzschlag, der eine sparsame, aber dauerhafte Sauerstoffversorgung sichert, zum anderen der Fluchtreflex, bei dem viel Sauerstoff für die Muskeln gebraucht wird. Dies koste den Wal zunächst viel Energie, könne aber auch sein Herz und sein Hirn gefährden – bis hin zu Bewusstlosigkeit und Tod.
Anhand der Aufzeichnungen zeigte sich, dass besonders Schiffsgeräusche bei den Narwalen diese paradoxe Reaktion auslösen. Die bekannte Reaktion auf ihren einzigen natürlichen Feind neben dem Menschen, dem Orca, ist, sich mit verlangsamtem Herzschlag in die Tiefe sinken zu lassen, wo dieser nicht hinkommt. Darauf geht auch der Beitrag von SVT zum Thema ein.
Erklärung für Todesfälle bei Walen?
„Wir vermuten, dass die paradoxe Fluchtreaktion des Wals die Ursache von unerklärlichen Todesfällen bei Walen sein kann, die Unterwassergeräuschen ausgesetzt waren“ , so der Professor.
Narwale können vier bis sechs Meter lang werden und leben nur in der Arktis. Früher wurden sie kommerziell gejagt und besonders das gedrehte, zwei Meter lange Horn des männlichen Tieres war begehrt. Heute dürfen dies nur noch die Inuit nach einer festgelegten Quote.
Für die Forscher ist nun die Frage, wie der Narwal mit den Herausforderungen umgeht, auf die in die Evolution nicht vorbereitet hat. Denn mit dem Zurückweichen des arktischen Eises werden der Schiffsverkehr und andere menschliche Aktivitäten dort zunehmen. Mit noch mehr Wissen wollen sie zum Schutz der Tiere beitragen.
Auf der Internetseite des Grönländischen Naturinstituts (Pinngortitaleriffik) ist ein Blog auf Englisch über die verschiedenen Narwal-Forschungsprojekte des vergangenen Sommers zu lesen.