Über Wasser laufen – Skitour nach Hanhinkari

Anleger von Hanhinkari im Winter

Anleger Hanhinkari. Im Winter fährt hier natürlich kein Boot hin.

Was tut man, wenn man in den Schärengarten der nördlichen Ostsee will und kein Boot hat? Eine der möglichen Lösungen ist: Man wartet halt die Zeit ab, in der das Eis dick genug ist, und nimmt dann die Skier. Besonders einfach ist diese Lösung ab Haparanda umzusetzen, wo im „Frühlingswinter“ elf Kilometer vom Zentrum bis zur Insel Hanhinkari für Langläufer gespurt werden. Und ich bin an einem Wochenende Anfang März mit guter Wettervorhersage in Haparanda, um das auszuprobieren. Folgt mir auf eine Skitour der etwas anderen Art.

Als ich das erste Mal von Leuten in Haparanda hörte, dass sie auf Skiern in den Schärengarten fahren, dachte ich, sie machten es so wie ich in Luleå und Piteå: Man nutzt Spuren von Schneemobilen, mit etwas Glück kann man in die von anderen Langläufern einsteigen, notfalls bahnt man sich eben selbst den Weg. Von Vorteil ist auch, wenn der Schnee schon eine harte Kruste hat und man nicht mehr einsinkt. Aber jeder, der es probiert hat, weiß: Klassische Langlaufski laufen am besten in der Führung einer Spur. Dann ist es eine vergleichsweise mühelose Art, sich schnell auf Schnee fortzubewegen.

Eisbedeckter Fluss, Torneälven

Eisbedeckter Tornefluss im März. Blick von der Promenade in Haparanda nach „Finnland“.

Nicht so mühelos natürlich, dass man gar keine Energie bräuchte. Deshalb verdrücke ich schon morgens um 11 Uhr eine Pizza in meiner Herberge, damit ich davon genug habe. 22 Kilometer Loipe sind zwar keine Heldentat, aber auch nicht nichts. Und man kann sich auch nicht mittendrin hinsetzen und sagen, dass man jetzt keine Lust mehr hat. Vorsichtshalber nehme ich auch Wasser und Proviant mit. Da es bereits ein paar Plusgrade sind, verzichte ich auf zu viel Reservekleidung. Meine Kamera und die Wanderstiefel, in denen ich gleich über die vereisten Straßen hinunter zum Flussufer gehe, müssen auch noch in den Rucksack passen.

Container am Kai

Container der Eisbader auf dem Cementkajen.

Zunächst einmal muss ich überhaupt den Anfang finden, denn mehr als die sparsame Info „Cementkajen“ gibt die Internetseite nicht her. Auf dem Cementkajen befindet sich der orange Container der Haparanda Arctic Ice Swimmers, und im geschützten Winkel ihr Eisloch. Ein anderes, weniger besucherfreundliches Eisloch befindet sich auf der Außenseite des Anlegers und ist einer der Gründe, warum ich diesem Flusseis misstraue. Vermutlich geschaffen durch die Strömungsverhältnisse um das Bauwerk herum. Direkt vom Kai würde ich nicht aufs Eis gehen, und soweit ich die Spuren interpretiere, tut das auch niemand. Doch weiter weg auf dem Fluss selbst sind Schneemobile und vereinzelt Skiläufer unterwegs. Und meine Loipe fängt woanders an.

Das Fahrzeug des nordischen Winters: Ein Schneemobil ist unter der Eisenbahnbrücke durchgefahren.

Neben Cementkajen ist ein Rodelhügel aus aufgehäuftem Schnee und gegenüber ein Parkplatz. Die Autos haben schwedische und finnische Nummernschilder. Ich sehe Leute auf Langlaufskiern direkt hinter dem Rodelhügel hervorkommen, aber die eigentliche Loipe beginnt erst etwa 100 Meter weiter Richtung Eisenbahnbrücke. Der Schnee ist richtig gut, trotz des Tau- und Wiedergefrier-Wetter der vergangenen Wochen, ich bin beeindruckt.

Loipe gefunden – die Tour beginnt

Sehr gute Loipe direkt am Flussufer. Hier der Blick zurück auf die Eisenbahnbrücke und auf Alatornion kirkko.

Ich gleite unter der Eisenbahnbrücke durch, passiere das Wellnesshotel Cape East und rätsele kurzfristig über ein Schild, auf dem ”Öråd” (Inselrat) steht. Die Lösung: Wegen Corona konnte 2020 die in Schweden beliebte „Robinson“ – Serie nicht in der Südsee gedreht werden. Die Ausweichlocation wurde – Haparanda Skärgård. Bei passendem Wetter optisch auch sehr paradiesisch, aber für die Teilnehmenden muss es doch ziemlich hart gewesen sein. Zu Beginn der Drehzeit Ende Juli war die Wärmeperiode nämlich größtenteils schon vorbei und Blaubeeren sind auch nicht so nahrhaft wie Kokosnüsse. Die nächste Folge wurde dann wieder in den Tropen gedreht.

Schild auf Flusseis

Warnung vor einem Loch im Eis auf dem Tornefluss

Ich rätsele auch über gelbe Schilder, die auf scheinbar mitten auf dem Fluss stehen und die ich kaum lesen kann. „Vorsicht, Eisloch“, mit dem entsprechenden Symbol. Ich sehe eine mit Stangen abgesteckte Stelle, aber die Schilder sind sehr weiträumig verteilt. Sie richten sich wohl auch eher an die vielen Schneemobilfahrer, die in einem hohen Tempo unterwegs sind. Flusseis ist tückisch: Strömungsverhältnisse und unsichtbare warme Einleitungen können Schwachstellen schaffen, die man nicht auf Anhieb erkennt. Sich am Verhalten der Einheimischen zu orientieren, ist überlebensnotwendig.

Ich passiere die Landspitze, die als Schwedens östlichster Punkt gilt. Schräg gegenüber auf der anderen Flussseite liegt Toranda, ein Yachthafen, der jetzt natürlich zugefroren ist. Vor mir sehe ich die ersten Inseln und die ersten Schneemobile auf dem Weg dorthin. Ihr Weg ist mit Tannenbäumen markiert. Schärengarten, ich komme!

Die Loipe biegt allerdings erstmal ab und hält sich am Ufer. Ich folge ihr etwas ungeduldig und will aufs Eis. Es gibt eine Abzweigung, in Richtung Wald, ich bleibe am Ufer. Mir kommt eine vierköpfige Familie entgegen. Während sie passieren, fällt mir ein, dass ich ja mal nach dem Weg fragen könnte:„Wart ihr auf der Insel?,“ „Nein, so weit waren wir nicht“, ruft der Mann, schon vorbei.

Endlich aufs Eis

Loipe auf zugefrorenem Meer.

In der Ferne der Horizont. Skilaufen über Meereis.

Hundert Meter weiter muss ich nicht mehr fragen, denn nun geht es eindeutig hinaus aufs Meer. Neben der Loipe stehen rote Plastikstiele mit Reflektoren, wie sie auch an den Straßen als Markierung für den Schneepflug angebracht werden. Man kann den Weg also nicht verfehlen.

Zuerst hat die Loipe noch guten Schnee, doch rechts und links neben mir kann ich besichtigen, was die Schneemobile, von den Einheimischen nur „Skoter“ (sprich: „Skuter“) genannt, in Kooperation mit Tauwetter angerichtet haben: tiefe Spuren, in denen Schmelzwasser steht.

Rückblick zum noch nahen Festland

Eine Skaterin überholt mich, und wieder einmal bewundere ich, wie schnell man mit dieser Technik vorankommt. Skate-Ski sind kürzer und komplett glatt. Wenn ich mit meinen klassischen Langlaufskiern skate, bin ich auch schneller, brauche dafür aber einen extrem guten Untergrund und bin nach 100 Metern komplett kaputt. So verlockend es auch ist, Skate-Ski zu probieren: Ich habe die Vermutung, dass man mit dem Kauf der Skier nicht automatisch die Muskeln bekommt, die man dafür braucht.

Das Geniale an der klassischen Diagonalbewegung ist, dass sie vergleichsweise energiesparend ist und nicht so hohe Anforderungen an den Untergrund stellt. Ja, natürlich geht es am einfachsten in einer gepflegten klassischen Loipe, wo die Skier einfach in einer Führung gleiten – deshalb bin ich ja gerade hier -, aber Roald Amundsen hatte auch keine. Und da ich nicht nur darauf aus bin, mich zu bewegen, sondern auch möglichst weit kommen und etwas sehen will, ist ein geringer Energieaufwand ein extrem wichtiges Kriterium.

Schmelzwasser über Loipe

Schicksal einer Loipe

Die Skaterin kommt bald zurück, und ich wundere mich etwas. Dann erreiche ich den Punkt, an dem sie vermutlich umgekehrt ist. Da geht unsere Loipe nämlich in einem Schmelzwassertümpel unter. Aber man kann sich daneben über die Skoterspuren auf der anderen Seite der Loipenmarkierung entlanghangeln. Eine tiefe, mit gefrorenem Schmelzwasser gefüllte Spur quert das Eis wie ein erstarrter Bach. Ich klettere vorsichtig darüber, aber sie hält.

Leben im Schärengürtel der Bottenwiek

Wer es nicht gewohnt ist, dem mag das viele Wasser auf dem Eis unheimlich erscheinen. Anfang März ist das Eis der nördlichen Ostsee jedoch noch ziemlich zuverlässig und stabil. Unter der angetauten Oberfläche ist immer noch mehr als ein halber Meter, der hält. Meereis im Schärengürtel der Bottenwiek ist praktisch Süßwassereis. Bis in diesen nördlichsten Zipfel der Ostsee kommt nur wenig Salzwasser, und der ständige Zustrom aus den großen Flüssen sorgt dafür, dass man vom Salz an der Küste nichts merkt – umso besser hält es.

Hütte auf Insel, Meereis

Hütte auf der Insel Kuninkaankari

Um diese Jahreszeit hat man sich vor Ort auch an das Eis gewöhnt, es ist selbstverständlich geworden, als wäre es schon immer dagewesen. Einige behalten dieses Vertrauen zu lange: Jedes Jahr um Ostern herum gibt es diese Berichte in den Medien über Leute, die ins Eis eingebrochen sind. Meist geht dabei der Skoter baden, aber die Leute überleben. Die hoch stehende Frühlingssonne zerstört die Kristallstruktur, was morgens noch hielt, kann Mittags schon nicht mehr taugen. Eine 30 Zentimeter dicke Scholle kann wegbröseln wie nichts, ich habe es einmal an einer Scholle auf Land getestet.

Ich nähere mich der ersten Insel, die aber noch nicht mein Ziel ist. Ein Grundstück darauf ist allerdings das Ziel diverser Leute auf Skotern. Ich sehe Rauch von einem Lagerfeuer aufsteigen. Im Schärengarten Skoter fahren, wo die Beschränkungen geringer sind als an Land, und grillen – so sieht zumindest für einen Teil der Einheimischen das Wochenendvergnügen aus. Viele sind aber auch mit Anhänger unterwegs. Die Zeit mit festem Eis ist die Zeit, in der man per Skoter das Baumaterial für den Sommer zu seiner Hütte in den Schären schafft.

Inseln im vereisten Meer.

Eine kleine und eine ferne Insel.

Meine Spur, mal besser, mal schlechter, führt zwischen zwei größeren Inseln durch, und voraus kann ich auch welche erkennen. Eine davon ist keine weit entfernte Insel, wie ich bald feststelle, sondern einfach nur eine kleine Insel, bestehend aus ein paar Büschen auf einer Anhöhe. Dieses Phänomen der optischen Täuschung erinnert mich ans Segeln. Nur dass man auf dem zugeschneiten Eis lediglich vermuten kann, wo die Küstenlinie eigentlich verläuft.

Ein Vorteil des Skifahrens auf dem Meer ist, dass man keine lästigen Steigungen bewältigen muss. Dafür gibt es natürlich auch keine Abfahrten. Außerdem muss man mit Wind rechnen. Mich schiebt er gerade, aber nur ein bisschen. Zum Glück. Ich muss ja auch wieder zurück.

Eis, im Hintergrund Hafen

Tornios Industriehafen Röyttä

Das schwedische Festland habe ich nun schon ein gutes Stück hinter mir gelassen, ebenso die Inseln links und rechts. Ich rätsele, welche der Silhouetten vor mir am Horizont eigentlich meine Ziel-Insel Hanhinkari ist. Es ist nun sehr viel Eisfläche zu sehen, und in der Ferne ein Stück Finnland, das ein bisschen die Romantik vermurkst, nämlich das Edelstahlwerk Outokumpu und Tornios Industriehafen Röyttä. Die nächste kleine Insel verdeckt das aber nochmal.

Schon länger habe ich keine Skifahrer mehr getroffen, aber richtig einsam ist es deshalb nicht hier draußen auf dem nur befristet begehbaren Meer. Immer wieder sieht – und hört – man irgendwelche Skoter passieren, teilweise auch weit entfernt, man kann ja übers Eis weit sehen. Es ist, wie Tilmann Bünz in seinem Buch über Lappland schreibt: Sie sind die Pest. Aber man kann nie wissen, ob man nicht mal einen braucht. Das gilt nicht nur fürs Fjäll, sondern auch fürs Meer.

Der Physik vertrauen

Gefrorenes, verschneites Meer

Die Weite auf dem gefrorenen Meer.

Wie kommt das menschliche Hirn damit klar, eine riesige Weite um sich zu haben, die eigentlich nur aus verschiedenen Aggregatszuständen von Wasser besteht? Dazu sind die Skoter ganz nützlich: Wenn es die trägt, trägt es auch mich, denke ich immer. Bei Tageslicht, mit zumindest sporadisch anderen Leuten um mich und beschäftigt damit, die Kilometer hinter mich zu bringen, denke ich nicht zu viel darüber nach, es ist ja auch nicht das erste Mal, dass ich auf Meereis bin. Härter ist es manchmal nachts, wenn ich in Piteå auf die Eisbahn gehe, um Polarlichter zu sehen, denn das ist von meiner Wohnung aus einfach der nächste, beste Ort. Wenn nachts die Temperaturen in den Keller gehen, kann das Eis knacken und springen, was ziemlich hässlich klingt. Dann hilft nur noch das feste Vertrauen auf die Physik.

Manchmal trifft man Leute auf dem Eis.

Nachdem ich längere Zeit völlig allein unterwegs war und nur meine eigenen Ski-Geräusche gehört habe, nehme ich von hinten plötzlich andere wahr. Ich sehe mich um: Es kommen gleich zwei andere Skifahrer kurz hintereinander, die dabei sind, mich zu überholen. Sie schleppen keinen schweren Rucksack mit Schuhen und einer digitalen Spiegelreflexkamera mit sich herum, bleiben nicht dauernd stehen, um noch ein Foto zu machen oder Wasser zu trinken, und setzen auf schnellere Fahrtechniken. Ich folge ihnen mit Blicken, denn sehr höchstwahrscheinlich wollen auch sie nur der Loipe folgen und haben damit dasselbe Ziel wie ich, und langsam finde ich, dass ich jetzt auch dort sein könnte.

Rote und grüne Fahrwassertonne im Eis

Fahrwassertonnen – Wegmarken in erstarrter Landschaft.

In der Tat wird eine Kontur vor mir immer größer. Hanhinkari ist eine längliche Insel und liegt wie ein Riegel vor mir. Das Vorankommen wird etwas erschwert dadurch, dass man immer wieder auf Alternativen ausweichen muss, wenn die Loipe mal wieder zu sehr aufgetaut oder in seltsamen Formationen festgefroren ist. Dass es nicht mehr allzu weit sein kann, merke ich daran, dass der eine Skifahrer, der mich vorhin überholt hat, schon wieder zurückkommt. Der ist doch bestimmt bis zum Ende gefahren, aber eine lange Pause hat er sich nicht gegönnt. Außerdem kommt mir noch ein Paar entgegen, das nett grüßt. Ich muss allerdings noch ein „Fahrwasser“ überqueren – erkennbar an den eingefrorenen roten und grünen Tonnen – und am Schluss mischen sich Ski- und Skoterspuren immer mehr. Nun ist ja eigentlich genug Platz für alle, aber offensichtlich ist für Skoterfahrer nicht immer gut zu sehen, wo sie sich bitte fernhalten und die Spur nicht kaputtfahren sollen.

Hanhinkari

Haus mit Flagge im Wald

Hütten auf Hanhinkari

Und dann bin ich tatsächlich da. Direkt vor mir geht die Skotertrasse einen Hang hinauf, zwei Skoterfahrer erklimmen ihn gerade. Das zweite sichtbare Haus auf der tief verschneiten Insel hat geflaggt, normalerweise ein Zeichen dafür, dass jemand da ist. Rechts der Schiffsanleger. Ich sehe ein Infoschild und eine Picknickbank auf dem Anleger und klettere dort hinauf.

Hütte und Schild im Schnee

Picknickplatz für jedes Wetter – notfalls auch unter Dach.

Hanhinkari, so informiert mich das Infoschild, ist eine der am meisten besuchten und bebauten Inseln im Schärengarten von Haparanda. Etwa 50 Hütten soll es hier geben. Vermutlich deswegen hat man die Loipe hierhin gelegt. Hanhinkari besteht eigentlich aus zwei Teilen: Pahaluoto und Välikari. Auf der etwas feuchtigkeitsgeschädigten Karte sieht es aus, als sei es von hier aus kürzer nach Haparanda Hamn bei Nikkala als zurück nach Haparanda Zentrum. Ich behalte das im Kopf – sollte mich mal die Lust auf eine größere Tour reiten. Die „Robinson“-Insel Seskar-Furö liegt aber noch deutlich weiter weg. Bei Kvarken habe ich mal Leute getroffen, die mit Pulka übers Eis zu ihrer Hütte wollten. Allerdings nicht auf einfachen Langlaufskiern, sondern auf breiteren Tourenskiern, die besser für tiefen Schnee geeignet sind.

Anleger von Hanhinkari im Winter

Anleger Hanhinkari.

Der Picknickplatz am Fähranleger verfügt über einen dieser in Schweden typischen Steinringe als Feuerplatz, eine Rasthütte, ein paar Schuppen und eine Toilette. Während ich noch darüber nachdenke, ob ich die Toilette brauche – auf dem Eis kann man nirgendwo mal schnell hinter einem Busch verschwinden – stelle ich fest, dass ich dafür erst einen halben Meter Schnee wegräumen müsste, und entscheide mich dagegen. Ich bin auch zu faul, die Skier abzuklipsen, weil man in dem tiefen Schnee ohnehin nur einsinken würde, und setze mich einfach auf den Rand des Steinrings. Der Himmel hat sich etwas bezogen, aber das Wetter ist absolut ok. Der Wind ist nur schwach. Es ist niemand zu sehen.

Wege auf Hanhinkari

Bevor ich den Rückweg antrete, fahre ich noch ein paar Meter über die Insel. Ich erspähe schon das Meer auf der anderen Seite dieses nicht sehr breiten Streifens Land. Straßen gibt es hier nicht. Die Wege, die durch den Wald ins Inselinnere führen, haben Skoter-Breite. Am ersten Baum steht ein Reflektor und ein Schild: Hanhinkari. Da weiß man wenigstens, ob man auf der richtigen Insel angekommen ist.

Rückweg

Drei markante Landmarken sehe ich vor mir, als ich zum Rückweg starte: Tornios unverkennbarer Wasserturm, der etwas schlankere von Haparanda und Haparanda Kyrka, das Gebäude, das ich aus der Ferne immer für ein Silo gehalten habe, bis ich mal hingegangen bin. Sie versinken allerdings hinter dem Wald, als ich mich ihnen wieder nähere.

An einem Stein türmt sich das Eis auf.

Nun habe ich schon lange keine anderen Skifahrer mehr getroffen. Dafür fällt mir jetzt auf, dass Steine da liegen, wo ich eigentlich tiefes Wasser vermutet habe. Und ist hier nicht sogar eine kleine Anhöhe? Hatte das Eis nicht gerade diesen typischen Bruch, wie man ihn so oft an der Grenze zwischen Meereis und an Land festgefrorenem Eis findet? Durchaus möglich, dass hier eine Sandbank ist. Jetzt werde ich wirklich neugierig, wie es hier aussieht, wenn das Eis weg ist. Aber dann braucht man eben ein Boot.

Der „gefrorene Schmelzwasserbach“.

Ich passiere die mir nun vertrauten Wegmarken: Den riesigen Stein, um den herum sich das Eis auftürmt, die nicht-ferne-sondern-kleine Insel, den Skoter-Treffpunkt, den „gefrorenen Bach“. Eine Skifahrerin kommt mir entgegen. Und dann liegt vor mir schon das letzte Stück Eis, bevor es wieder an Land geht.

Da ich auf dem Hinweg einige Abzweigungen gesehen hatte, hatte ich mir vorgenommen, auf dem Rückweg an Land einen anderen Weg zu nehmen. Worauf ich jetzt allerdings gar keine Lust mehr habe, sind kraftraubende Steigungen und alles andere, was irgendwie meinen Rhythmus stört. Ich möchte eigentlich nur fahren, fahren, fahren – und dann zusammenfallen können, mit etwas zu essen in Reichweite.

Tornios Gold zur Belohnung

Abendsonne in den Fenstern von Tornio

Da ich aber auch nicht so oft mit Skiern in Haparanda bin, teste ich tatsächlich noch den Weg durch den Wald. Lande auf der „falschen“ Seite von Cape East, muss die Skier abmachen und eine Straße überqueren. Den Schnee aus den Schuhen zu stochern, damit ich die Skier wieder anziehen kann, dauert länger als die Überquerung selbst. Ich passiere die Eisenbahnbrücke und sehe übers Eis, wie sich die untergehende Sonne in den Fenstern von Tornios Hochhäusern golden spiegelt.

Das letzte Stück zu meiner Herberge muss ich die Skier wieder tragen. Bin dann doch froh über die Wanderstiefel aus dem Rucksack, gehe trotzdem etwas langsam. Immerhin bin ich gerade kilometerweit über Wasser gelaufen. Da muss man sich erst wieder umgewöhnen.

Text und Bilder Andrea Seliger im März 2024

Wann trägt das Meereis?

Die Eisverhältnisse der Ostsee sind von Jahr zu Jahr unterschiedlich und hängen von vielen Faktoren ab. Im Bereich des Schärengartens von Haparanda kann man normalerweise im Februar und März mit zuverlässigem Eis rechnen, eventuell auch früher oder später. In den Randzeiten der Nutzungsperiode beobachten, was die Einheimischen machen, und im Zweifel fragen! Der schwedische und der finnische Wetterdienst geben gemeinsam eine Eiskarte der Ostsee heraus, die zur Orientierung dienen kann.