Schweden. Obwohl seit Wochen verschärfte lokale Regeln gelten, steigen die Infiziertenzahlen in Schweden weiter. Seit Montag gelten nun neue, einheitliche Regeln für das ganze Land, die im Tonfall noch etwas härter sind. Mitten in der zweiten Welle kam gestern auch der erste Teilbericht der Coronakommission und benannte zunächst schonungslos die Defizite in der schwedischen Altenpflege.
„Es ist Schweden nicht gelungen, seine Älteren zu schützen“ – dieses Fazit der Coronakommission unter Mats Melin ist keine Überraschung. Melin und sein Team machen zum einen die große Virusverbreitung im Frühjahr dafür verantwortlich, dass so viele alte Menschen an Covid-19 starben. Dass das Virus sich so fatal speziell in den Alten- und Pflegeheimen ausbreiten konnte, liege aber auch an strukturellen Problemen, die schon länger bestehen: Zu viele unterschiedliche Kompetenzebenen, zu wenig gut ausgebildetes Personal und zu viele Aushilfen auf Stundenbasis. Sozialministerin Lena Hallengren kündigte in derselben Pressekonferenz an, man bereite eine Gesetzesänderung von, die diesen Kritikpunkten Rechnung tragen soll. Eine komplette Aufarbeitung der ersten Welle soll im kommenden Jahr vorliegen.
Pandemiegesetz in Arbeit
In Hallengrens Ministerium liegt auch der Entwurf eines zeitlich befristeten Pandemiegesetzes, der der Regierung Aktionen erlauben würde, die sie aktuell nicht darf – beispielsweise Geschäfte und Einkaufszentren schließen, um die Virusverbreitung zu stoppen. Dies soll allerdings erst bis März fertig sein.
Hätten sich mehr Leute an die Regeln und Empfehlungen gehalten, die die Gesundheitsbehörde (Folkhälsomyndigheten) zuletzt herausgegeben hatte, wären Verbote und Schließungen möglicherweise nicht notwendig, denn diese raten von Ladenbummel, Aufenthalt im Gedränge und anderen Möglichkeiten der Ansteckung bereits deutlich ab. Die Zahlen sehen aber nicht danach aus: Es gibt zwar große Unterschiede in den Regionen, aber insgesamt verzeichnete Schweden vergangene Woche mit 43 653 Neuinfektionen einen neuen Höchststand. In der Woche zuvor waren es knapp 37 000 gewesen – und das galt schon als hoch. Die 14-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner beträgt nun 774. Norrbotten ist mit einer 14-Tage-Inzidenz von 557 pro 100 000 Einwohner besser dran, die Fälle sind aber ungleich verteilt. Die seit Montag gültigen neuen Regeln von Folkhälsomyndigheten drängen erneut auf größtmögliche Kontaktbeschränkungen und das Meiden jeglicher Orte der Ansteckung. Anders als bei den deutschen Regeln werden allerdings keine Personen gezählt: Hier muss jeder selbst Verantwortung zeigen. Für öffentliche Versammlungen gilt die Obergrenze von acht Personen, die von der Regierung auch als Norm im Privaten empfohlen wird. Die gymnasialen Oberstufen haben inzwischen Fernunterricht, je nach Region und Situation auch Klassen darunter.
Personalmangel in den Krankenhäusern
SVT zeigt inzwischen sowohl die Belegung der Intensivstationen mit Covid-Patienten als auch Covid-Patienten auf anderen Stationen in einer Übersicht an. Nach den vorliegenden Daten befinden sich inzwischen mehr Covid-Patienten im Krankenhaus als im Frühjahr. Allerdings liegen noch nicht so viele auf der Intensivstation. Dies könnte auch damit zu tun haben, dass man inzwischen mehr Erfahrung mit der Versorgung hat und die Patienten schonender behandeln kann.
Während Erfahrung und Ausrüstung nun vorhanden sind, fehlt es an Personal. Immer mehr Krankenhäuser stellen geplante Operationen ein, die nicht akut sind, sogar das Astrid-Lindgren-Kinderkrankenhaus in Stockholm musste 120 Ärzte und Krankenschwestern an Stockholmer Covid-Stationen abgeben. Ein Kinderarzt protestierte heftig gegen diesen Beschluss und warf der Region Stockholm vor, nicht gut genug vorgesorgt zu haben. In Schweden sind die Regionen für die Krankenversorgung verantwortlich.
Weiterhin keine Empfehlung für den Mundschutz
Obwohl in Stockholm und vielen anderen Regionen inzwischen Krisenstimmung herrscht, kommt der Mund-Nasen-Schutz in den neuen Regeln von Folkhälsomyndigheten nicht vor. Das Karolinska Institut und andere Fachinstitutionen haben sich längst dafür ausgesprochen, doch für die Behörde gilt er weiterhin nur als ein ergänzendes Mittel, Abstand sei das Wichtigste.
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