Letzte Chance für Julian Assange

Liebe Leserinnen und Leser,

es wird heutzutage viel geredet über „Desinformation“ und dass  man diese doch verhindern müsse. Miese Kräfte seien am Werk im Kampf um unsere Köpfe.

Niemand hat Julian Assange je Desinformation vorwerfen können. Die Dinge, die von WikiLeaks veröffentlicht wurden, waren wahr. Das war das Problem.

Day X Plakat

Aktionsplakat zur Gerichtsverhandlung

Heute beginnt in London der letzte Prozess, der den Australier Julian Assange noch davor bewahren kann, in die USA ausgeliefert zu werden, wo er nach dem „Espionage Act“ angeklagt werden soll. Ihm drohen bis zu 175 Jahre Haft. Fünf Jahre saß er deshalb bereits im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Der heutige Prozess ist bereits der Berufungsprozess. Die frühere britische Innenministerin hatte die Auslieferung bereits genehmigt.

Veröffentlichen ist nicht Hacken

Zur Erinnerung: Was Julian Assange getan hat, war nichts anderes als das, was Medien täglich tun: Dinge zu veröffentlichen, auch nichtöffentliche Dokumente, sofern sie denn wahr und relevant sind. Er hat die Informationen nicht selbst „gehackt“, sondern bekam sie von Whistleblowern wie Chelsea Manning. Der Versuch des FBI, auf Island einen Zeugen für „Hacken“ zu rekrutieren, scheiterte – der Zeuge gab schließlich zu, dass er den FBI-Vertretern zunächst erzählt hätte, was die hören wollten, das aber nicht die Wahrheit sei. (Siehe Siggi der Hacker, Assange und das FBI)

Exkurs: Gershkovich und Nawalnyj

Vor knapp einem Jahr wurde in Moskau der Russland-Korrespondent des Wall Street Journals, der US-Staatsbürger Evan Gershkovich, verhaftet und der Spionage bezichtigt.

Vergangene Woche starb der russische Oppositionelle Alexej Nawalnyj in einem Straflager in Sibirien aus bisher noch unbekannten Gründen. Solange nichts Konkreteres darüber vorliegt, darf man zumindest vermuten, dass die Bedingungen in diesem Straflager nicht gesundheitsfördernd waren und dass er noch leben würde, wäre er nicht dort gewesen.

Weder Journalismus noch politische Opposition sollten Gründe sein, weshalb Menschen eingesperrt werden oder gar im Gefängnis sterben – zu Recht gab und gibt es deshalb laute Proteste aus den USA, Großbritannien und vielen weiteren Ländern und Organisationen.

Doppelte Standards?

Doch die hehren Worte von der Meinungs- und Pressefreiheit scheinen weder in Großbritannien noch in den USA zu zählen, wenn es um Julian Assange geht, und auch andere westliche Staaten sind plötzlich ganz still. Nach den bekannt gewordenen Informationen ist Assanges Gesundheitszustand inzwischen extrem schlecht, es besteht die Gefahr, dass er im Gefängnis stirbt. Auch das wird scheinbar in Kauf genommen und politisch gedeckt. Es wird an einer vergleichsweise prominenten Person vorgeführt, was mit missliebigen Leuten passieren kann – in Großbritannien, veranlasst von den USA.

Nicht ohne Grund protestieren sämtliche Journalistenverbände gegen die Verfolgung von Assange nach dem Espionage Act in den USA. Damit würde ein Präzedenzfall geschaffen, das nächste Mal könne es praktisch jeden treffen, der eigentlich nur seinen Job als „Vierte Gewalt“ erfüllt.

Letzte Chance für die britische Justiz

Die britische Justiz hat jetzt noch die Chance, ihr Gesicht zu retten. Sie hat jetzt noch die Chance, eine unschuldige Person vor einem Schicksal à la Nawalnyj zu bewahren. Und dem Prinzip der Pressefreiheit noch einmal zu seinem Recht zu verhelfen.

Die Folgen für das, was eigentlich Pressefreiheit sein sollte, dürften aber jetzt schon eingesetzt haben. Wer möchte noch investigative Recherche betreiben, wenn er dafür nachher im Gefängnis landet – und nicht diejenigen, die die Verbrechen begangen haben? Des einen Recht auf Veröffentlichung ist des anderen Recht auf Wissen. Aber wir wissen ja nicht, was wir verpassen…

Mehr Vorgeschichte zum Fall Assange: Nils Melzer, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Folter: „J‘ accuse“(deutsch, erstes Mal lesen kostenfrei) sowie speziell zu den Vorgängen in Schweden

Über die häufigsten Falschannahmen zu Julian Assange: Reporter ohne Grenzen

Livestream zur Gerichtsverhandlung: Stella Assange und Unterstützer

Zu Assange und WikiLeaks im Norden:

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2 Antworten zu Letzte Chance für Julian Assange

  1. Onno sagt:

    Danke.
    Es sollte so klar überall zu lesen sein.

  2. uli sagt:

    Danke für die klaren Worte und zusätzlichen Links.

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