Schweden. Die schwedische Polizei hat angesichts der aktuellen Sicherheitslage eine Phase eingeleitet, die sich „särskild händelse“, besonderes Ereignis, nennt. Hintergrund ist der ständige Strom von Anträgen auf Verbrennen religiöser Bücher und die Empörung, die die vergangenen Koranverbrennungen bereits weltweit hervorgerufen haben. Die Regierung hat bisher wirkungslos zu Besonnenheit aufgerufen – angeheizt wird die Situation auch von einem Vertreter der Schwedendemokraten, denen die Regierung ihre Mehrheit verdankt.
Der Menschenrechtsrat der UN verurteilte die Koranverbrennungen. Die schwedische Botschaft im Irak wurde gestürmt und in Brand gesetzt. Schwedische Unternehmen im Irak bekamen Probleme. In zahlreichen Ländern wurden schwedische Flaggen verbrannt. Die türkische und ungarische Zustimmung zum schwedischen Nato-Beitritt ist noch keineswegs in trockenen Tüchern. Warum, so mögen sich manche fragen, werden solche öffentlichen Verbrennungsaktionen trotzdem immer wieder gestattet?
Hohes Gut freie Meinungsäußerung
Das Verbrennen religiöser Schriften allein gilt in Schweden noch nicht als Volksverhetzung, sondern als freie Meinungsäußerung. Deshalb durfte der dänische Rechtsextremist Rasmus Paludan, der inzwischen auch die schwedische Staatsbürgerschaft hat, 2022 und Anfang 2023 mit seinen Aktionen durch ganz Schweden touren, was an einigen Orten zu Krawallen führte und auch außenpolitisch nicht gut ankam. Im Februar 2023 lehnte die Polizei einen Antrag Paludans ab mit der Begründung, die Sicherheit könne nicht gewährleistet werden. Diese Entscheidung ist jedoch schon von zwei Gerichtsinstanzen gekippt worden, die die Gefahr nicht sahen, zuletzt am 12. Juni. Die Polizei geht damit nun in die höchste Instanz.
Paludans Nachfolger
Was als Provokation eines Rechtsextremisten vor der Wahl in Schweden begann, hat willige Nachahmer gefunden. Der bekannteste ist Salwan Momika, ein Iraker, der seit 2018 mit befristeter Aufenthaltsgenehmigung in Schweden lebt und behauptet, Christ und Mitglied der Schwedendemokraten zu sein. Gestern Abend wurde bekannt, dass die Migrationsbehörde seine Aufenthaltsgenehmigung überprüfen will. Es liegen weitere Anträge vor, und nicht immer geht es um den Koran: Es gibt auch Leute, die die Bibel oder die Torah anzünden wollen. In Helsingborg wurden die Nato-Statuten verbrannt. Es gab aber auch Fälle, wo der Antrag zurückgezogen wurde oder es bei der Veranstaltung doch nicht zu einer Verbrennung kam.
Schwierige Situation für Ulf Kristersson
Die schwedische Regierung sitzt in der Zwickmühle. Die Aktionen haben außenpolitisch eine extrem negative Wirkung. Premierminister Ulf Kristersson schreibt auf Instagram, und Facebook, Schweden sei einer Kampagne von außen ausgesetzt. Die Verbrennung von Kopien heiliger Schriften erschwere die Sicherheitslage. Die Regierung arbeite daran, das falsche Bild von Schweden, das entstanden sei, zurechtzurücken.
Doch es waren oft Gesinnungsfreunde der Schwedendemokraten, die zündelten – und auf deren Unterstützung ist die aktuelle Regierung letztlich angewiesen. Und während muslimische Vertreter einen breiten Dialog forderten, heizte Schwedendemokrat Richard Jomshof, Vorsitzender des Justizausschusses, die Situation mit Äußerungen über den Islam und Religionsgründer Mohammed weiter an.
Polizei erhöht Bereitschaft
Die Phase eines „besonderen Ereignisses“ der Polizei („särskild händelse“) bedeutet aktuell, dass Mitarbeiter der NOA (Nationale Operative Abteilung) speziell dafür eingesetzt werden, auch wenn aktuell keine direkte Terrordrohung vorliegt. Diese Organisationsform wird bei speziellen Anlässen genutzt. Im Großraum Göteborg wurde außerdem die Bewaffnung der Polizei verstärkt.
Die Sicherheitspolizei (Säpo) sieht Schweden inzwischen einem stärkeren Terrorrisiko ausgesetzt, auch wenn die Warnstufe noch nicht erhöht wurde. Sie liegt zurzeit bei drei von fünf.
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