Debüt aus Nord-Finnland: Ein Roman wie ein Fotoalbum

Kuusamo. Die Buchmesse Leipzig ist vorbei, aber die Bücher bleiben. Eine Neuerscheinung in diesem Jahr auf dem deutschen Markt ist der Debütroman des Finnen Tommi Kinnunen, der ab heute in der Übersetzung erhältlich ist: “ Wege, die sich kreuzen“.

Kuusamo

Kuusamo, Anfang der 1950er Jahre. Foto Juhani Kinnunen

Die Familiengeschichte beginnt 1896 und erstreckt sich über 100 Jahre:  Es ist die Geschichte von Individuen, die in einer Zeit leben, die für sie nicht günstig ist. Da sind zum einen die Kriege, die Finnland heimsuchen, doch auch die Gesellschaft, die vorschreiben will, wie sich Männer und Frauen zu verhalten haben. Kinnunen zeigt die Wege, die seine Protagonisten gehen, wie sie um ihr Glück kämpfen und welchen Preis sie dafür zahlen. Im Zentrum steht dabei Lahja, die in der Anfangsszene auf dem Sterbebett liegt und ihren toten Mann um Vergebung bittet – doch die Leser erfahren nicht, warum.

Sie bekommen die Geschichte allerdings auch nur häppchenweise serviert: Der Autor zoomt hinein in das Leben seiner Figuren in einem namenlos bleibenden nordfinnischen Ort und lässt sie dann wieder allein. Doch das Puzzle, das sich daraus zusammensetzt, wird immer vollständiger: Großmutter Maria ist Hebamme aus Berufung, bleibt aber lieber unverheiratet.

Tommi Kinnunen

Tommi Kinnunen. Foto Jussi Vierimaa

Ihre Tochter Lahja will das nicht: Sie will nicht nur eine erfolgreiche Fotografin mit unehelichem Kind sein, sie will auch einen Mann.  Onni scheint zunächst ein Glücksgriff. Doch der kann ihre Bedürfnisse nach körperlicher Nähe nicht erfüllen – und  ist selbst gespalten, denn er verliert, egal, was er tut. Und schließlich ist es Lahjas Schwiegertochter Kaarina, die das fehlende Puzzleteil findet und hinzufügt und auch die rätselhafte Anfangsszene verständlich macht.

Tommi Kinnunen, Jahrgang 1973, stammt selbst aus einer Fotografenfamilie in Kuusamo und sagt in einem Interview mit dem Verlag, die Fotos in den Familienalben seien die „Keimzelle“ des Romans gewesen. Seine Technik erinnert das Durchblättern solcher Alben – Momentaufnahmen, an die Zeit dazwischen muss man sich erinnern, oder man erfindet sie. Die Geschichte selbst ist laut Autor “ inspiriert von meiner eigenen Familie, ihren Freunden und Nachbarn, den Menschen am Polarkreis.“ Kinnunen lebt heute als Finnisch-Lehrer in Turku.

Wege die sich kreuzenDas finnische Original , „Neljäntienristeys“( wörtlich: Die Kreuzung der vier Straßen) erschien bereits 2014. In Finnland war es „Buch des Jahres 2014“ , Preisträger bei „Kiitos Kirjasta“ („Danke für das Buch“ der finnischen Buchhändler) und für weitere Auszeichnungen nominiert. Der Autor bekam nach dem Erscheinen von vielen Menschen ähnliche Geschichten zu hören, wie er berichtet: “ Ich staune, wie viel Unausgesprochenes in jeder Familie steckt. „Wege, die sich kreuzen“ erzählt genau diese Geschichten, über die geschwiegen wird.“

Tommi Kinnunen, „Wege, die sich kreuzen“, aus dem Finnischen von Angela Plöger, DVA Belletristik, ISBN: 978-3-421-04771-7, gebunden.

 

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